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Ausgabe 30-2/1987

"Das Entscheidende ist neben dem handwerklichen Können die Einstellung dem Leben gegenüber"

Gespräch mit Helmut Bergmann, Kameramann

(Interview zum Film JAN AUF DER ZILLE und zum Film SABINE KLEIST, 7 JAHRE)

Helmut Bergmann, geboren 1926 in Niederkaina bei Bautzen, aufgewachsen in Dresden, bekam 1949 seine erste Anstellung als Kamera-Assistent bei der DEFA-Kurzfilmproduktion in Babelsberg. Es folgten ab 1951 Arbeiten als Kameramann bei der Herstellung von Lehrfilmen, und bis April 1958 war er als Kameramann im DEFA-Studio für populärwissenschaftliche Filme tätig. Danach wechselte er ins DEFA-Spielfilmstudio als erster Kameramann. In den Jahren 1964 bis 1967 arbeitete Helmut Bergmann am Cinema High Institute in Kairo/Ägypten als Lehrer für Filmfotografie und technischer Berater. 1968 begann – wieder im DEFA-Studio für Spielfilme – die Zusammenarbeit mit Helmut Dziuba; ihr erster gemeinsamer Film war "Der Mohr und die Raben von London". Außerdem arbeitete Helmut Bergmann mit den Regisseuren Heiner Carow, Slatan Dudow, Horst Seemann u. a. (siehe Filmografie).

Wir trafen Helmut Bergmann während des Kinderfilmfestivals in Gera im Februar 1987.

KJK: Sie haben bei einer Reihe von Filmen, die auch bei uns bekannt sind, als Kameramann gearbeitet. Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Helmut Bergmann: "Ich bin Autodidakt in jeder Beziehung. Gelernt habe ich Feinmechaniker. Was ich als Kameramann kann, was ich weiß, habe ich mir selbst angelernt. Meine Herkunft ist proletarisch, mein Vater war Tischler, meine Mutter Köchin. Nach Krieg und Gefangenschaft bin ich 1949 aus Westdeutschland in die Republik übergesiedelt und hatte sofort Arbeit als 'Flitzpieper'. Die 50er-Jahre waren eine richtige Goldgrubenzeit. Da hat uns unser Staat mit Aufgaben betraut, für die wir noch gar nicht geeignet waren. Bei jedem Film habe ich mir eine Aufgabe gestellt, und das mache ich eigentlich bis zum heutigen Tag. Nach jedem Film habe ich das Gefühl: Jetzt bist du wieder ein Stück schlauer."

Ihr erster Film mit Helmut Dziuba war "Der Mohr und die Raben von London".
"Ja, unmittelbar nachdem ich von Kairo – wo ich für drei Jahre einen Lehrauftrag hatte – zurückkam und Dziuba vom WGIK Moskau. Damals hat sich schon das Ziel unserer Zusammenarbeit angedeutet: Dass er mir absolut die optische Seite unseres Films überlässt. Er begibt sich voll in meine Hand. Deswegen bin ich mit den Ergebnissen zufrieden. Für mich ist jede Mustervorführung eigentlich wie Weihnachten – da bestätigt sich, was ich durch die Lupe gesehen habe. Ich arbeite nur mit dem Zoom, und der Darsteller weiß nie, wie weit ich dran bin. Das ist für mich Gestaltung – das Maß ist die Abbildung eines Gesichts in einer bestimmten Situation. Das ist für die Aussage und die Argumentation ungeheuer wichtig."

Also geschieht Ihre Kameraarbeit intuitiv?
"Eigentlich ja. Unsere Produktionsmethode ist keine neue, aber eine wirtschaftlich effektive, indem ich lange Einstellungen durchdrehe, und der Regisseur mit dem Material spielen kann. Der kann sich die gelungensten Phasen rausnehmen, und wenn wir eine Einstellung zweimal drehen, hat er noch mehr Möglichkeiten. Da ich etwas schwer höre, gucke ich den Schauspielern auf den Mund – ich kenne heute noch die Dialoge von Amigo – und spiele mit denen den Film mit. Das geht so weit, während ein Schauspieler aufspringt und irgendwo hingeht, sehe ich das schon aus dessen Bewegungen, weil ich das mitspiele. Wenn so eine Einstellung gedreht ist, bin ich genauso geschafft wie er!"

Wie sieht Ihre Zusammenarbeit mit dem Regisseur aus?
"In der Zusammenarbeit mit Helmut Dziuba hat sich damals schon bei 'Ede und Unku' herausgestellt, dass ich Einfluss auf Kostüme und Farbe der Dekoration habe und er das so konzipiert. Bei 'Sabine Kleist' war das noch mehr, da haben wir die Ausstattung noch mehr abgestimmt. Da gehe ich von meinen Erfahrungen bei Dudow aus. Wenn zum Beispiel im Hintergrund ein Plakat zu sehen ist, das man nicht eindeutig lesen kann, dann brauchen wir vorn gar nicht zu spielen, weil alle Zuschauer nachher lesen wollen, was auf dem Plakat steht. Das sind so handwerkliche Dinge, die sind wichtig, und wenn man sie konsequent beachtet und durchführt, wird es sauber in der optischen Aussage, und das gibt dem Regisseur die Freiheit, sein Spiel einzubringen.
Es ist eine Unsitte zu glauben, Atmosphäre und soziale Positionen, ein Umfeld, zu schaffen, indem man das Bild besonders voll packt. Wenn man den Schauspieler in einer gar nicht besonders zurechtgefummelten Situation spielen lässt, ist automatisch der Hintergrund einbezogen, indem ich sie inszeniere. – Ich erinnere mich an ein Wort des Produzenten, mit dem ich damals in Kairo zu tun hatte, der sagte: Drei Dinge müssen stimmen – Schauspieler, Dekoration und Kostüme, das ist mein Geld."

Haben Sie auch auf die Wahl der Darsteller Einfluss?
"Ich spreche auch ein entscheidendes Wort bei der Besetzung der Kinderdarsteller mit. Bei 'Sabine Kleist' wollte Dziuba die Kleine, die die Sabine spielen sollte, schon wieder wegschicken, aber ich habe erst mal einige Aufnahmen mit ihr gemacht und festgestellt: Das ist sie. Da ich die Probeaufnahmen selbst mache, kann ich mich mit dem Regisseur schon auf einen ganz bestimmten Stil verständigen."

Gibt es für den Kameramann eines Kinderfilms einen anderen Blickwinkel, andere Bilder?
"Eigentlich nicht. Ich habe einen Film mit Gunther Friedrich gemacht, und er war immer der Meinung, dass ich mit der Kamera tief gehen muss, aber ich hatte Normalhöhe und eine ganz lange Brennweite. Außer wenn es ein Gestaltungsmittel sein soll, dann akzeptiere ich das, oder wenn ich etwas optisch verschieben will. Eine interessante Erscheinung ist es ja, wenn ich mich an meine Kindheit erinnere und wenn ich heute an diese Orte komme, so frage ich mich, was waren das damals für Entfernungen für mich! Das kommt einem heute alles so verkürzt vor. Wenn ich also etwas aus der Sicht eines Kindes machen will, dann würde ich versuchen, die Perspektive des Kindes herzustellen. Aber nicht aus dem Grund, weil es ein Kinderfilm ist, die Kameraposition extra einstellen. Ich will gar nicht sagen, dass das so richtig ist. Es geht so weit, dass ich die Szenen auflöse, dass wir das Bild auflösen, wenn er mir das zeigt, ich möchte nur wissen, warum, und das zwingt den Regisseur auch noch mal nachzudenken – ich habe mir das so und so gedacht. Weil ich das in der Hand habe, gibt es weder einen optischen noch sonst einen Bruch, deswegen gibt es eine Einheit, einen Guss. Das Entscheidende ist aber neben dem handwerklichen Können die Einstellung dem Leben gegenüber und natürlich auch das Team, dass man mit Menschen zusammenarbeitet, mit denen man sich versteht."

Sie arbeiten bei den Kinderfilmen mit einer langen Brennweite, welche Rolle spielt das?
"Die Methode der langen Brennweite habe ich erstmals praktiziert bei 'Ede und Unku' und dann besonders bei 'Sabine Kleist', da hat sich das bewährt. Bei Kinderaufnahmen ist die lange Brennweite wichtig, nicht die Perspektive, sondern die Brennweite. Wenn wir weit weg sind, ist es schon oft gewesen, dass der Dziuba mir angeboten hat, dass ich ein Fernglas mitbringe, damit ich seine Schauspieler beobachten kann ... Aber es ist in Ordnung, es ist günstig für Kinderfilme, dass man nicht so nahe dran ist, dass man den Schauspielern nicht so nah am Gesicht klebt. Wenn ich mit der Technik so weit weg stehe, bin ich nicht im Licht – je weiter weg die Lampe ist, umso günstiger. Es hat Vorteile für die Schauspieler, weil sie nicht so eingeengt sind. Sie können laufen, wohin sie wollen – bloß nicht aus der Dekoration!"

Es ist faszinierend, dass Sie beide – Helmut Bergmann als Kameramann und Helmut Dziuba als Regisseur – jeder für sich eine Stärke haben, und doch beides zusammengeht und nicht gegeneinander.
"Bei uns addiert sich das ... Ich bekomme schon das Szenarium, und es ist immer die Exposition und der Schluss, wo ich stark Einfluss nehme. Denn wenn am Anfang nicht so viel Hintergrundinformation geliefert wird, reißt es ab und ist den Film über nicht verständlich, und dann finde ich auch, dass der Schluss ein richtiges Ende haben muss, am liebsten ein positives, das entspricht meiner Haltung zum Leben. Ich bin ein optimistischer Mensch und ich versuche, meine Lebensfreude in alles reinzulegen.
Helmut Dziuba schreibt im Drehbuch auch schon ganz bestimmte Stimmungsempfindungen rein, bei 'Sabine Kleist' zum Beispiel 'und die Sonne schob sich eine Wolkendecke über die Beine', also eine Stimmungsvorgabe, die ich versuche, mit meinen technischen Möglichkeiten zu realisieren. So wie ich seit geraumer Zeit um eine Wirklichkeitsnähe bemüht bin, einen Realismus versuche, der auf Schminke verzichtet – in dem Moment, wo ich eine ungeschminkte Haut sehe, sage ich, das Gesicht hat Leben, und es ist nichts Maskenhaftes, das Gesicht wird zur Landschaft. Das ist eine Haltung, eine Einstellungsfrage zu Menschen. Wenn ich den Stoff, die Geschichte nicht mag, dann kann das nichts werden, man muss Liebe zum Film haben. Es ist eine Frage der Position, die Haltung der Umwelt, der Gesellschaft gegenüber, eine weltanschauliche Frage, die Sicht auf eine bestimmte Sache."

Und wie sehen Sie die Welt?
"Ich sehe die Welt wie Sabine Kleist, wie Jan auf der Zille, wie Ede und Unku, wie Amigo – und das meine ich mit Parteilichkeit. Durch meine Kameraarbeit, meinen Blickwinkel zwinge ich ja auch den Zuschauer, die Welt in dem bestimmten Ausschnitt zu sehen, den ich auswähle – und das ist eine ungeheure Verantwortung, die ich als Kameramann habe."

Mit Helmut Bergmann sprachen Christel und Hans Strobel

 

Filmografie Helmut Bergmann, Kameramann

1958 "Sie nannten ihn Amigo" (Regie: Heiner Carow)
1959 "Verwirrung der Liebe" (Regie: Slatan Dudow)
1960 "Italienisches Capriccio" (Regie: Clauco Pellegrini)
1961 "Rotkäppchen" (Regie: Götz Friedrich); in Kairo/(Ägypten "Almaz" (Produzent und Regie: Helmi Raffla)
1962 "Sonntagsfahrer" (Regie: Gerhard Klein)
1963 "Christine" (Regie: Slatan Dudow)
1964 "Ayam Jom" ("Verlorene Tage") b. d. General Company for arab Film-Production (Regie: Bahad el Din Sharaf)
1968 "Der Mohr und die Raben von London" (Regie: Helmut Dziuba); "Zeit zu leben" (Regie: Horst Seemann)
1969 "Liebeserklärung an GT" (Regie: Horst Seemann)
1970 "Reife Kirschen" (Regie: Horst Seemann)
1971 "Apachen" (Regie: Gottfried Kolditz)
1972 "Ulzana" (Regie: Gottfried Kolditz)
1974 "Chiffriert an Chef – Ausfall no. 5" (Regie: Helmut Dziuba)
1977 "Ich will euch sehen" (Regie: Janos Veiczi)
1978 "Ich – dann eine Weile nichts" (Regie: Gunther Friedrich)
1981 "Als Unku Edes Freundin war" (Regie: Helmut Dziuba)
1982 "Automärchen" (Regie: Erwin Stranka)
1983 "Sabine Kleist, 7 Jahre" (Regie: Helmut Dziuba)
1985 "Jan auf der Zille" (Regie: Helmut Dziuba)
1986 "Liane" (Regie: Erwin Stranka)

 

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