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Ausgabe 32-4/1987

MEIN LEBEN ALS HUND

MITT LIV SOM HUND

Produktion: Waldemar Bergendahl für Svensk Filmindustri / Film-Teknik, Schweden 1985 – Regie: Lasse Hallström – Drehbuch: Lasse Hallström, Reidar Jönsson, Brasse Brännstrom, Per Berglund, nach dem Roman von Reidar Jönsson – Kamera: Jörgen Persson, Rolf Lindström – Schnitt: Susanne Linnman, Christer Furubrand – Musik: Björn Isfält – Darsteller: Anton Glanzelius (Ingemar), Anki Liden (Mutter), Melinda Kinnaman (Saga), Tomas von Brömssen (Onkel Gunnar) u. a. – Laufzeit: 101 Min.- Farbe – FSK: ab 6,ffr. – Verleih: Filmverlag der Autoren (35mm)

Alan Parkers "Angel Heart" mag der faszinierendste Film dieses Jahres sein – einer der menschlichsten und schönsten, der 1987 ins Kino kommt, ist Lasse Hallströms "Mein Leben als Hund". Claude Chabrol meinte einmal, sein Ideal sei es, kleine Filme zu machen, klein wie Wassertropfen, in denen sich aber das ganze Leben spiegelt. Kaum ein Film der letzten Zeit hat dieses Ideal so sehr erfüllt wie die schwedische Produktion.

Es geht um den zwölfjährigen Ingemar Johansson, der sich im Jahr 1959 gerade sehr bemühen muss, nicht zu viele Streiche auszuhecken. Sein Vater ist "irgendwo am Äquator unterwegs und verlädt Bananen", seine Mutter liegt schwerkrank im Bett und kann sich des lebhaften Jungen immer schwerer erwehren. Sie, die früher heiter und verständnisvoll war, wird zunehmend aufbrausend und abweisend. Keine leichte Situation. Aber Ingemars unbändiges Temperament, seine Erinnerungen an die Mutter, wie sie früher war, und sein Hund Sickan bieten ihm genug Halt. Und außerdem: Es gibt so viel traurigere Schicksale als seines, oder? Zum Beispiel das der russischen Hündin Leika, die in einem Sputnik eingesperrt einsam die Erde umkreist, bis sie verhungern muss.

Das Schicksal dieser Hündin tröstet Ingemar über seine Probleme hinweg, bis seine Neugier auf das Leben wieder die Depressionen verdrängt. Besonders heilsam ist das kleine Dorf seines Onkels Gunnar, den Ingemar besucht, als seine Mutter ins Krankenhaus kommt. Zwar trifft es ihn, dass sein Hund nicht mitkommen darf, aber er glaubt Sickan gut versorgt. In diesem kleinen Dorf gibt es die merkwürdigsten Menschen, eine kleine Glasbläserei und Saga, einen Fußball- und Boxchampion in Ingemars Alter, der sich als Mädchen entpuppt.

An diese Welt schließt sich der Junge noch enger an, als seine Mutter stirbt. Ingemar macht sich Vorwürfe, warum er ihr nicht früher alles erzählt habe, was ihn bewegt, wie lieb er sie hat. Und immer häufiger muss der Vergleich mit Leika herhalten, um zu beweisen, dass es ihm eigentlich gar nicht so schlecht geht. Als er aber aus dem Haus seines Onkels zur Großmutter in eine enge Stube umziehen muss, als er sich mit Saga zerstreitet, die beginnt, sich für mehr als Fußball zu interessieren, und als sich herausstellt, dass Sickan keineswegs gut untergebracht ist, sondern eingeschläfert wurde, bricht Ingemar zusammen. Er schließt sich in Onkel Gunnars Sommerhaus ein, will weder mit jemandem sprechen noch etwas essen. Es gibt keinen Unterschied mehr zu Leika. Allein im All oder auf der Erde – das bleibt sich gleich. Es bedarf aller Behutsamkeit des Onkels und einer kleinen Sensation im Dorf, um Ingemar aus der Isolation zu locken. Der erste Schritt zurück ins Leben führt auch zurück zu sich selbst und zu Saga.

"Es mag bessere Filme über die Kindheit geben, aber wenige haben ihren Balance-Akt zwischen Komödie und Tragödie so treffend eingefangen", schreibt Tom Milne im Monthly Film Bulletin. Ein Balance-Akt, von dem Chaplin und Woody Allen beweisen, dass er nicht nur die Kindheit bestimmt. Lasse Hallströms Film zeigt, dass Lachen und Weinen zu Recht so dicht beieinander liegen, und er stürzt die Zuschauer gnadenlos vom einen ins andere. Ein Gewaltakt, der nur dadurch erträglich wird, dass Hallströms Film so viel Wärme ausstrahlt. Nicht zuletzt durch die Arbeit des Kamera-Teams, das auch Allan Edwalls "Åke und seine Welt" drehte, findet sich das Publikum als liebevoller Betrachter, dem plötzlich die Distanz entzogen wird: Ingemars Kommentare zu seinem Leben, zum Schicksal Leikas, zu denen ein unbeweglicher Sternenhimmel die Leinwand füllt, lassen ihr keine Chance.

Im Gegensatz zu Lasse Hallströms "Wir Kinder aus Bullerbü", der nach "Mein Leben als Hund" entstand, und dem die Kritik zu viel der Idylle vorwarf, gibt es bei dieser Produktion nur Punkte auf der Haben-Seite. Eine Würdigung der wichtigsten Elemente, die dies kleine Meisterwerk ausmachen, liest sich daher fast wie ein Auszug aus den Stabangaben. Die Kamera Jörgen Perssons und Rolf Lindströms wurde bereits erwähnt. Aber vielleicht liegt die erstaunlichste Leistung doch bei den Schauspielern, allen voran Anton Glanzelius als Ingemar. Er spielt, als habe er die zwei Seelen dieser Welt, Komik und Tragik, versöhnt in seiner Brust.

"Mein Leben als Hund" schildert einen "Ritt über den Bodensee" und nicht nur das erwachsene Publikum hört das Eis knirschen. Die Preise, die dieser Film erhielt, beweisen, dass auch Kinder ein Gespür für diese heitere Geschichte am Rand der Verzweiflung haben. "Mein Leben als Hund" wurde 1985 als Bester Schwedischer Film ausgezeichnet und erhielt beim 12. Internationalen Kinderfilmfestival 1986 in Frankfurt den Preis der (Kinder-)Jury. Gerade dieser verdiente Preis ist es ärgerlicherweise, der vielleicht dem Film einen Erfolg wie etwa in den USA – er ist dort der meistbesuchte ausländische Film des Jahres – hier in der Bundesrepublik verwehren wird. Einige Kinobesitzer stufen "Mein Leben als Hund" als Kinderfilm ein und werden ihn, anders als den thematisch etwa ähnlichen Film "am großen Weg", nur nachmittags spielen. Nur weil Kinder Sinn für ein Kunstwerk haben, soll es keines für Erwachsene sein.

Albert Schwarzer

 

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