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Ausgabe 37-1/1989

EMMAS SCHATTEN

SKYGGEN AF EMMA

Produktion: Metronome Productions A/S, in Kooperation mit The Danish Film Institute (Ida Zeruneith), Dänemark 1988 – Regie: Søren Kragh-Jacobsen – Drehbuch: Søren Kragh-Jacobsen, Jørn O. Jensen – Kamera: Dan Laustsen – Schnitt: Leif Axel Kjeldsen – Ton: Morten Degnbol – Musik: Thomas Lindahl – Darsteller: Line Kruse, Börje Ahlstedt, Henrik Larsen, Inge Sofie Skovbo u. a. – Laufzeit: 99 Min. – Farbe – Weltvertrieb: The Danish Film Institute, P.O. Box 2158, DK-1016 Copenhagen

Ein kleines Land leistet sich den Luxus, ein Viertel der staatlichen Filmförderungsgelder für den Kinder- und Jugendfilm zu reservieren. Von einer solchen Kinderfilmförderung kann man hierzulande nur träumen, ebenso von den Ergebnissen einer derartigen Filmpolitik. Die Rede ist von Dänemark und dem Filminstitut in Kopenhagen, das mit "Emmas Schatten" eine Großproduktion realisierte, die höchsten Ansprüchen genügt. Beim Internationalen Kinderfilmfestival in Frankfurt 1988 ging der Film irgendwie unter, dabei ist der Regisseur Søren Kragh-Jacobsen seit seinem "Gummi-Tarzan" von 1981 auch bei uns kein Unbekannter mehr.

"Emmas Schatten" spielt während der 30er-Jahre in Kopenhagen und erzählt die mehr als abenteuerliche Geschichte eines elfjährigen Mädchens aus der Oberschicht. Emma lebt in einer Welt des Luxus, des erlesenen Geschmacks und der feinen Manieren. Selbstverständlich ist diese besonders feine Welt für Emma auch besonders langweilig und sie flüchtet in Phantasien. Emma träumt davon, eine Prinzessin zu sein. Schließlich musste ihre Großmutter einst vor den Bolschewiki aus St. Petersburg nach Finnland fliehen. Die Zeitungen berichten von der Entführung des Lindbergh-Babys in Amerika, das Signal für Emma, ihren Träumereien jetzt Handlungen folgen zu lassen. Sie inszeniert ihre eigene Entführung. In einem günstigen Augenblick verschwindet sie und lässt ihrem Chauffeur einen "Erpresser-Brief" im Auto zurück.

So gerät Emma in das Arbeiterviertel von Kopenhagen, eine für sie völlig neue Welt, in der alles unwirklich und märchenhaft erscheint. Auf ihrer Entdeckungsreise durch das Milieu des Proletariats quält sie der Hunger, sie verletzt sich am Knie und lernt den Kanalarbeiter Malthe kennen, der sich ihrer annimmt und ihr Unterkunft gewährt. Zwischen dem tumben, gutmütigen Malthe und der etwas herrischen Emma entsteht Freundschaft und gleichzeitig eine Art verschworene Gemeinschaft. Malthe ist ein schwedischer Emigrant und wird als solcher von seinen Arbeitskollegen schikaniert, Emma gibt sich als eine russische Prinzessin aus, hinter der die Kommunisten her sind und die um ihr Leben fürchten muss. In dieser Welt der halb realen, halb eingebildeten Bedrohungen erfährt Emma zum ersten Mal das, was sie in ihrem goldenen Käfig so vermisste: Menschlichkeit, Wärme, Geborgenheit. Durch ihre Intelligenz und Phantasie ist Emma ihren neuen Freunden weit überlegen und sie scheut sich auch nicht, diese Überlegenheit offen zur Schau zu tragen. Emma spielt die Glücksfee für den ahnungslosen Malthe, indem sie auf eine äußerst raffinierte Art das von ihren Eltern erpresste Lösegeld kassiert und ihre Freunde zum großen Gelage ins Grand Hotel einlädt. Die Nachforschungen der Polizei bleiben nicht ohne Ergebnis und in höchster Not versucht Malthe, mit Emma durch die Kanalisation zu entkommen. Die Flucht misslingt und Emma findet sich in ihrem sauberen Bettchen bei den Eltern wieder. Malthe besucht sie und nimmt sie vor den Augen der verdutzten Eltern weinend in die Arme. Hat Emma das alles nur geträumt?

"Emmas Schatten" ist ein Melodram nicht nur für Kinder, ein Märchenfilm, der durch seine geschickt aufgebaute Dramaturgie auch Erwachsene in Atem hält. Die Künstlichkeit des Dekors wird durch die weiche Lichtgebung (Gelb-Filter) und die Musikuntermalung (Kragh-Jacobsen ist auch Musiker) noch verstärkt; so lässt der Film in keinem Moment Zweifel daran, dass wir uns mit Emma in einer Märchenwelt befinden. Die Schilderung des großbürgerlichen Milieus mit seinem kalten Luxus erinnert stark an "Åke und seine Welt" bzw. an die Filme des Dänen Bille August.

Dass trotz der glatten Oberfläche keine "edle Langeweile" aufkommt, dafür sorgt die abenteuerliche Geschichte, die bei allen märchenhaften und melodramatischen Bezügen stets glaubwürdig bleibt. Vor allem in den Details und Randepisoden gewinnt die Erzählung große atmosphärische Dichte, etwa in der komischen Szene, wo Malthe der staunenden Emma die "unanständigen" Tätowierungen auf seinem Körper vorführt, oder – Höhepunkt des Films – wenn Emma durch die leeren, nächtlichen Straßen läuft und sich durch die Gullis mit dem in der 'Unterwelt' lebenden Malthe unterhält. Die Metapher erinnert natürlich an den Mythos von "der Schönen und dem Untier" und an die sich nach Erlösung und Liebe verzehrenden Halbwesen des phantastischen Films. Wenn Malthe mit der ohnmächtigen Emma in den Armen durch die dunklen Schächte der Kanalisation gehetzt wird, so ist das eindeutig eine vermenschlichte Variante dieses Mythos. Für Kinder mag sich diese schweißtreibende Sequenz anders darstellen, auf jeden Fall ist es ein Abenteuer, der mutigen Emma auf ihrer Odyssee durch die 'Unterwelt' zu folgen.

Die Darstellung der Emma durch Line Kruse ist freilich ein Glücksfall. Selbst international gesehen gehört ihre schauspielerische Leistung (vergleichbar mit der von Kristina Orbakajte in dem sowjetischen Film "Die Vogelscheuche") zu den unvergesslichen Höhepunkten in der Geschichte des Kinderfilms.

Fernand Jung

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 39-1/1989 - Kinder-Film-Kritik - Emmas Schatten
KJK 37-1/1989 - Interview - "Dieser enge Kinderfilmbegriff hat mich schon immer gestört"

 

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