Produktion: The Kino Film Co., Australien 1988 – Regie und Drehbuch: Scott Hicks – Kamera: David Foreman – Schnitt: Pip Karmel – Musik: Allan Zavod – Darsteller: Alexander Bainbridge, Jeremy Angerson, Robert Coleby, Elizabeth Alexander u. a. – Laufzeit: 91 Min. – Farbe – Internationaler Vertrieb: Beyond International Group, 53-55 Brisbane St., Surry Hills, New Youth Wales 2010, Australien
Von Australien hat man, was Kinderfilm anbelangt, bisher noch nicht viel gehört. Umso erstaunlicher, wie professionell und auch einfühlsam Scott Hicks in seinem 1988 gedrehten Film "Sebastian und der Spatz" die Freundschaft von zwei 14-Jährigen ganz aus der Perspektive der Jugendlichen in Szene gesetzt hat. Der Film, der nach dem 1. Preis des Giffoni-Filmfestivals 1989 nun auch den "Lucas" beim Kinderfilmfestival 1990 in Frankfurt gewann, ist ein mit viel Humor versehenes, rasantes Stück Unterhaltungskino mit sozialkritischem Unterton. Im Mittelpunkt stehen die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten kommenden Halbwüchsigen, die der Film geschickt kontrastiert:
Sparrow, von den Pflegeeltern abgehauen, schlägt sich auf der Straße durch. Dabei sind ihm seine Rollschuhe sehr behilflich: um im Vorbeifahren an Geschäften etwas Essbares mitgehen zu lassen oder bei der Flucht vor Skinheads, die ihn als Halb-Vietnamesen wegen seiner "Schlitzaugen" fertigmachen wollen. Da hat es Sebastian schon leichter: Als wohlbehüteter, cleverer Sohn einer australischen Mittelstandsfamilie lebt er inmitten der Wohltaten der westlichen Überflussgesellschaft, von der Polaroidkamera bis zur elektrischen Zahnbürste. Sebastian fühlt sich dennoch alleingelassen von seinen Eltern, die keine Zeit für ihn haben, und unverstanden von einem Schulsystem, das sich seinem ausgeprägten Individualismus in den Weg stellt.
Bei einem elektronischen Spielautomaten, an dem sich beide die Zeit vertreiben, lernen sie sich kennen, und als Sebastian Sparrow beim "Ausleihen" eines Boots vor der Polizei bewahrt, beginnt für die beiden eine aufregende Freundschaft. Sebastian führt Sparrow bei sich zuhause ein, lässt ihn am Familienleben teilhaben, dafür zeigt dieser ihm die Abenteuer der Straße. Bei einem ihrer Streifzüge wird Sparrow von einem Sozialarbeiter gestellt. Als dieser ihm von seiner vietnamesischen Mutter erzählt, die ihn in ein Pflegeheim gegeben hat und nun wieder zu sich nehmen möchte, fasst er den Entschluss, sie auf eigene Faust zu suchen. Sebastian schließt sich kurz entschlossen an, und so trampen die beiden die Südküste Australiens entlang. Ihre Suche führt sie über das Grab von Sparrows Vater bis hin zu einer verlassenen Strandhütte, in der Sparrow als kleines Kind mit seinen Eltern gelebt haben muss. Enttäuscht vom offensichtlichen Misserfolg ihrer Suche zerstreiten sich Sparrow und Sebastian. Sie trennen sich, und Sebastian wird verhaftet, als er mit einem schrottreifen Auto in die nächste Ortschaft gelangen will. Der inzwischen auf ihre Spur gekommene Sozialarbeiter holt Sebastian zusammen mit Sparrows Mutter, die er mitgebracht hat, aus der Zelle, und Sebastian führt sie zu der verlassenen Strandhütte, wo es zu einem stillen, ergreifenden Wiedersehen von Sparrow und seiner Mutter kommt.
Ausbrechen, um sich selbst zu finden, wollen beide und sehnen sich doch nach ganz unterschiedlichen Dingen: Sparrow sucht die Geborgenheit einer Familie, wie Sebastian sie hat; Sebastian sehnt sich nach Eigenverantwortung und männlicher Selbstbestätigung, die für Sparrow selbstverständlich ist. Die Welt der Erwachsenen verwehrt ihnen diese Bedürfnisse und deswegen entfliehen sie den bestehenden Verhältnissen, begeben sich in ein Abenteuer, das zum Symbol ihrer inneren Reise wird. Scott Hicks erzählt diese Geschichte mit Witz und Tempo, die der Gesellschaftskritik des Films eine Leichtigkeit verleiht, die sie gerade für Kinder greifbar und verständlich macht. Grundthema des Films ist mit den Worten des Regisseurs "der ständig drohende Verlust der Kommunikation zwischen Jugendlichen und Erwachsenen". Sparrows Mutter hat ihren Sohn gleich ganz im Stich gelassen, indem sie ihn zu Pflegeeltern gab, aber auch Sebastians Vater dringt trotz aller Versuche nicht zu seinem Sohn vor. Er steckt zu sehr in seiner Arbeit und hat keine Zeit, sich wirklich auf Sebastians Welt einzulassen. Am deutlichsten wird dies, als Sebastians Vater ihm möglichst einfühlsam erklären will, dass er aus terminlichen Gründen leider nicht zum Schulkonzert kommen kann, bei dem Sebastian Klavier spielt. Sebastian übertönt die schuldbewussten Ausführungen seines Vaters mit Französischvokabeln und hofft nur inständig darauf, dass der Vater endlich das Zimmer verlässt. Kurz zuvor hat er nämlich dem auf dem Dachboden versteckten Sparrow ein Zeichen gegeben, dass die Luft rein sei. Probleme der Pubertät, wie die ersten Erfahrungen der Sexualität, kann man ohnehin nur mit seinem besten Freund bereden, was in der amüsantesten Szene zum Tragen kommt, in der Sebastian dem in solchen Dingen schon viel erfahreneren Sparrow Löcher in den Bauch fragt.
Im Grunde sind es die vom sozialen und materiellen Status der Familie bestimmten, ungleichen Startchancen und Bildungsmöglichkeiten, die es einem Jugendlichen wie Sparrow erschweren, einen angemessenen Platz in der Gesellschaft zu finden. Der Sozialarbeiter im Film bringt es auf den Punkt: "Wenn Sparrow nur die Hälfte der Möglichkeiten gehabt hätte, die unsereinem geboten werden, wäre er doppelt so gut wie jeder andere." Neben dieser kritischen Sichtweise sind es vor allem der Detailreichtum und die atmosphärische Dichte, die ausschnitthaft Szenarien des australischen Alltags beleuchten.
"Sebastian und Sparrow" ist ein Beispiel dafür, wie man einem jugendlichen Publikum auf unterhaltsame Art und Weise die Realitäten ihrer eigenen Welt vor Augen führen kann, ihre Probleme aufgreift, ohne ihnen dabei den Mut zu nehmen.
Thomas Hübscher
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 44-4/1990 - Interview - "Kinder haben ein geheimes Leben"
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