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Ausgabe 56-4/1993

DIE WURZEL ALLEN ÃœBELS

ZIKKIMIN KÖKÜ

Produktion: Mine Film, Türkei 1993 – Regie: Memduh Ün – Buch: Memduh Ün, Macit Koper, nach dem Roman "Zikkimin Kökü" von Muzaffer Izgü – Kamera: Orphan Oguz – Schnitt: Nevzat Disiacik – Musik: Cahit Berkay – Darsteller: Emre Akyildiz, Menderes Samancilar, Günay Girik, Meric Basaran, Elif Inici – Länge: 95 Minuten – Farbe – Weltvertrieb: Mine Film, Ayhan Isik Sokak 28, Girik Han, Beyoglu, Istanbul, Fax (...) 2456774 – Altersempfehlung: ab 8 J.

Die Erinnerungen an die entbehrungsreiche Kindheit des 1933 geborenen türkischen Schriftstellers Muzaffer Izgü – heute einer der bekanntesten Satiriker des Landes – sind der Stoff für einen neuen Film aus der Türkei, der beim diesjährigen Internationalen Kinderfilmfestival in Frankfurt am Main zu sehen war.

Muzaffer, genannt Muzo, wächst in einer armseligen Hütte am Rande von Adana auf. Die unentwegten Versuche des Vaters, Arbeit und Lohn zu finden, sind nur selten erfolgreich, die Mutter muss mit dem Wenigen die Familie versorgen. Für viele selbstverständlichen Dinge fehlt das Geld – so werden aus Kohlenstaub Briketts geformt, um den kalten Winter zu überstehen, und der kleine Muzo muss den Schulweg in den schweren, vom Vater angefertigten Holzschuhen antreten. Erst recht fehlt das Geld für kleine Vergnügen wie den Erwerb eines der knallbunten Luftballons, die der Straßenhändler feilbietet. Muzos Kindheit ist durch Armut geprägt, aber auch von Erlebnissen und Begegnungen, die der Junge mit wachen Augen aufnimmt. In seiner Nachbarschaft erlebt er das Drama eines unglücklich verheirateten jungen Mädchens, dem schließlich die Flucht vom reichen, aber ungeliebten Mann gelingt. Das Lernen in der Schule fällt Muzo leicht, im Gegensatz zu seinem älteren Bruder, und sein Wissensdurst führt ihn eines Tages in die ehrwürdige – und warme – Bibliothek, wo er dank eines gütigen Bibliothekars zum ständigen Gast wird. Hier fasst Muzo den Entschluss, Lehrer zu werden.

Inzwischen geht Muzo aufs Gymnasium. Im Sommer jedoch verdient er etwas Geld als Vorführer in einem der zahlreichen Freilichtkinos (die es in der Türkei heute noch gibt) – und bessert sein Taschengeld auf, indem er Filmreste aneinanderklebt und seinen Mitschülern die Filmrolle mit einem selbstgebauten Projektor vorführt. Doch die finanzielle Lage der Familie hat sich nicht gebessert, im Gegenteil. Weil sie die Miete nicht bezahlen können, müssen sie ihre Habe packen und in ein anderes Viertel ziehen. Hier trifft Muzo das Mädchen Raziye und verliebt sich zum ersten Mal. Der zarten Freundschaft setzt der traditionsbewusste Vater des Mädchens jedoch bald ein Ende: Ohne ernsthafte Heiratsabsichten gibt es auch keine Treffen. Muzo will erst die Lehrerausbildung zu Ende bringen, also wird Raziye verheiratet mit einem Mann, den sie nicht liebt. Muzo aber wird Lehrer. Als der später bekannte Muzaffer Izgü erinnert er sich in seinem Roman "Zikkimin Kökü" an die Geschichte seiner Kindheit.

Ein Verdienst des Films ist, dass er die Stationen dieser Kindheit stets aus dem Blickwinkel des Protagonisten erzählt. Er macht sich die Beobachtungen des Jungen zu eigen und zeigt zugleich mit leiser Ironie Verhältnisse, die in manchen Gegenden der Türkei noch nicht Vergangenheit sind. Es ist ein Blick zurück, der zuweilen der Verklärung und Romantisierung erliegt, dennoch – besonders im ersten Teil – mit vielen stimmigen Details dieses Leben schildert. Humorvoll und mit großer Sympathie ist Muzos Familie gezeichnet, die mehr oder weniger mit den Widrigkeiten des beschwerlichen Lebens zurechtkommt. Exemplarisch dafür ist die Eingangssequenz, in der ihnen die mühsam errichtete Hütte buchstäblich über dem Kopf zusammenfällt. Allerdings verliert die episodenhaft erzählte Geschichte mit dem Übergang ins Jugendalter den roten Faden und verschenkt die Aufmerksamkeit, mit der man Muzo als Kind gefolgt ist.

In Frankfurt erlebte der Film von Memduh Ün seine Weltpremiere, der sich die türkische Premiere beim Filmfestival Adana anschloss. Der in der Türkei anerkannte und mehrfach preisgekrönte Regisseur, geboren 1920 in Istanbul, studierte Medizin, war mehrere Jahre Profifußballer und kam schließlich als Schauspieler zum Film. Seit den 50er-Jahren ist er als Produzent und Regisseur tätig.

Schwierigkeiten bereitet wieder – wie bereits bei dem 1991 entstandenen "Piano Piano Bacaksiz" von Tunc Basaran (Filmkritik siehe KJK Nr. 48-4/1991), mit dem ihn im übrigen manche Ähnlichkeit verbindet – die deutsche Übersetzung des Originaltitels "Zikkimin Kökü". Hierbei handelt es sich nämlich um einen fast unübersetzbaren Ausdruck, der in weniger glatt verlaufenden Situationen gebraucht wird – etwa wie "Verdammt noch mal". Der Titel "Die Wurzel allen Übels", unter dem der Film in Frankfurt lief, ist allenfalls die wortwörtliche Übersetzung, drückt jedoch nicht den Sinn aus und stellt dadurch auch keinen Bezug zum Inhalt des Films her.

Christel Strobel

 

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