(Interview zum Film RÜCKWÄRTS LAUFEN KANN ICH AUCH)
Mit der DEFA-Produktion "Rückwärts laufen kann ich auch" nahm der Regisseur Karl Heinz Lotz am Wettbewerb des diesjährigen Internationalen Kinderfilmfestivals in Frankfurt am Main teil. KJK-Mitarbeiter Reinhard Kleber führte dort ein Interview mit Karl Heinz Lotz über seinen Film, einen der letzten aus der DDR, über die Lage bei der DEFA und die Zukunft des Kinderfilms in der bisherigen DDR.
KJK: Ihr Film ist der erste über behinderte Menschen in der DDR. Warum ist dieses Thema dort 40 Jahre lang tabuisiert worden?
Karl Heinz Lotz: "Dazu möchte ich nur auf folgendes Erlebnis verweisen: Als ich 1978 einen Film nach dem Buch 'Die Last, die du nicht trägst' von Roswitha Geppert über Behinderte drehen wollte, habe ich folgende Begründung dafür erhalten, dass ich diesen Film nicht realisieren durfte: 'Laut Marx und Engels besteht die Gesellschaft aus Produktionsverhältnissen, Produktionsmitteln und Produktivkräften. Behinderte sind keine Produktivkräfte.' Mit einer solchen DDR-Ideologie war dieses Projekt nicht zu machen. Da habe ich nur gesagt: Was ist das für eine Ideologie, wo die Menschen fehlen?"
In Ihrem Film gibt es eine berührende Szene, in der ein behindertes Mädchen aus dem laufenden Geschehen heraus direkt in die Kamera schaut und so den Zuschauer anspricht. Diese Szene hat auf mich so gewirkt, als ob sie dokumentarisch sei. Ist das richtig?
"Nein, diese Szene stand im Drehbuch, sie ist inszeniert. Es ist übrigens das Mädchen, das ursprünglich die Hauptrolle spielen sollte, als ich das Projekt zuerst realisieren wollte, und das jetzt für diese Rolle zu alt geworden ist. Diese Szene hat damit zu tun, dass ich in jedem Film versuche, 'dokumentarische' Einsprengsel einzubauen, um diese Traumwelt ein bisschen anzuknacken. In meinem zweiten Film 'Junge Leute in der Stadt' habe ich das ja bis auf die Spitze getrieben. Dort konnte der Zuschauer ja letztlich nicht mehr unterscheiden, was dokumentarisch und was fiktiv ist."
Würden Sie Ihren Ansatz bitte erläutern?
"Ich gehöre zu einer Generation, die versuchte, dem Leben näher zu sein, also authentischer an der Wirklichkeit dran zu sein. Ich wollte den ersten Film über Behinderte in der DDR machen, eben nach diesem Buch 'Die Last, die du nicht trägst'. Die DEFA hat dann übrigens das Politmärchen 'Einer trage des anderen Last' gemacht. Ich wollte den Finger drauf halten, denn bei uns in der DDR ging es ja immer darum, Klischees zu liefern, die von der Wirklichkeit wegführen."
In einigen Nebenbemerkungen sind mir Spitzen gegen die offizielle Politik aufgefallen. Hatten Sie damit keine Probleme?
"Als der Film im Januar 1990 fertig gestellt war, befand sich die DDR schon in der Auflösung. Der Film wäre allerdings früher nie durchgegangen."
Wie viel Drehzeit hatten Sie zur Verfügung?
"Wir hatten fast siebzig Drehtage. Dies war eine freundliche Geste der DEFA-Direktion. Das war bei uns immer so: Wenn ein Projekt genehmigt war, hatte man große finanzielle Freiheiten. Anders ausgedrückt: Wenn es mal grünes Licht gab, dann konnte man schwelgen. Bei meinem folgenden Film 'Die Mauerbrockenbande' hatte ich dagegen nur zwanzig Tage zur Verfügung."
In dem Film "Rückwärts laufen kann ich auch", dessen Heldin Kati eine Spastikerin ist, gibt es mehrere Szenen, in denen Sie eindrucksvoll die Kommunikation zwischen Taubstummen zeigen. Würden Sie gerne einmal einen Film über Taubstumme machen?
"Es würde mich reizen, darüber einen Film zu drehen. Je weniger Sprache in einem Film ist, umso filmischer muss man denken."
Wie ist denn derzeit die Stimmung in Babelsberg?
"Die künstlerischen Mitarbeiter der DEFA wissen, dass sie draußen sind. Wir müssen uns jetzt auf dem freien Markt anbieten. Lediglich ein paar technische Kräfte werden in Babelsberg bleiben. Eigentlich ist es eine völlig desolate Situation."
Sägt sich die DEFA mit der Entlassung hoch qualifizierter Spezialisten nicht selbst den Ast ab, auf dem sie sitzt?
"Es wird alles zerstört, was an den Sozialismus erinnert, auch die bisherige zentralistische Organisation. Bisher gab der Staat bei uns ja 50 Millionen Mark im Jahr für etwa 18 Filme. Das soll nun nicht mehr sein. Stattdessen wird das föderalistische Modell der Bundesrepublik übertragen. Das Problem dabei ist, dass man nach diesem Fördermodell keine großen Filme machen kann. Das bedeutet eigentlich schon den Tod der Filmwirtschaft bei uns. Es ist traurig, dass durch den Wegfall der zentralen Steuerung auch die Möglichkeit, aufwändige Filme zu machen, wegfällt."
Wie geht es für Sie weiter?
"Ich habe derzeit einen Kinderfilm in Arbeit, einen historischen Stoff, der 1789 zur Mozart-Zeit spielt. Danach ist alles offen. Außerdem habe ich ein paar Projekte im Kopf, darunter eines, das in der Zukunft spielt. Ich möchte nicht zuviel verraten, vielleicht nur das: Es geht darum, dass sich in fünf, sechs Jahren herausstellen könnte, dass alles nicht geklappt hat mit der deutschen Einheit und sich alle DDR-Bürger am Rückgrat operieren lassen müssen."
Mit Karl Heinz Lotz sprach Reinhard Kleber
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