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Ausgabe 48-4/1991

Freiheit kann auch Einsamkeit sein

Gespräch mit Helmut Dziuba über die Arbeit an seinem neuen Film "Jana und Jan"

(Interview zum Film JANA UND JAN)

In Fürstlich Drehna in der Lausitz inszenierte Helmut Dziuba ("Verbotene Liebe") eine Liebesgeschichte für das Kino: Romeo und Julia während der Wende in einem Jugendwerkhof, einer Erziehungsanstalt der ehemaligen DDR. Die fast volljährige Jana verführt, nur um eine Wette zu gewinnen, den erst 15-jährigen Jan, der als Neuer in den Werkhof kommt. Aus dem Spiel wird eine Liebe, die keine Chance hat. Die Produktion des Films gehört zu insgesamt sechs Ost-West-Stoffen, die das Zweite Deutsche Fernsehen und die DEFA in diesem Jahr gemeinsam realisieren.

Mit dem Regisseur Helmut Dziuba sprach KJK-Mitarbeiter Manfred Hobsch.

KJK: Sie arbeiten gerade am Schnitt Ihres neuen Films "Jana und Jan" und Sie tun dies bei der DEFA in Babelsberg, wo Sie auch in den letzten dreißig Jahren tätig waren. Dennoch hat sich vieles verändert, was zum Beispiel?
Helmut Dziuba: "Die neue Erfahrung ist sicher, aus vielen Töpfen das zu holen, was man benötigt, um einen Film zu machen: Den Stoff hatte das DEFA-Studio bereits entwickelt, das ZDF hat dann ein Großteil der Mittel in die Waagschale geworden, die FFA hat sich beteiligt, und das Land Brandenburg hat ganz unbürokratisch den großen Rest aus seinem schmalen Haushalt in unseren Topf geworfen, was ich ganz besonders notiere, weil es ein ernsthaftes Engagement Brandenburgs für die DEFA signalisiert. Und die andere neue Erfahrung ist, dass ich zwar mit alten Mitarbeitern aus meinem Stab gearbeitet habe, aber das sind alles entlassene Leute, die eben nur für diese kurze Zeit unter Vertrag genommen wurden und besonders intensiv arbeiten mussten, weil wir es uns nicht mehr leisten konnten, mit zwei Leuten zu arbeiten, wo man es eben eventuell mit einem auch schaffen müsste ..."

... das heißt also mehr Stress?
"Ich glaube schon, aber ich konnte mit meinem alten Stab bei der DEFA arbeiten, das lässt viele Klippen wegsamer erscheinen. Ich weiß wirklich nicht, ob ich das mit anderen so geschafft hätte. Dieses Verhältnis zwischen uns, einer für den anderen, das heißt doch auch, dass ein Beleuchter, wenn es darauf ankommt, der Garderobiere mit unter die Arme greift oder die Garderobiere mit in der Küche hilft. Das sind Dinge, die scheinbar unwichtig sind, aber in der Zusammenarbeit eben doch eine große Rolle spielen, weil sich sonst das Tempo nicht halten lässt. Da habe ich ein bisschen Bammel, wie das aussieht, wenn ich nicht mit meinen alten Kollegen arbeiten kann. Für meine nächste Produktion für das ZDF, wo ich eine Folge einer neuen Serie für Kinder inszenieren werde, hat man mir mitgeteilt, dass der Stamm für alle Folgen bereits stehen wird, bis auf die künstlerischen Mitarbeiter, die ich dann eventuell mitbringen könnte."

Bisher gab es bei Ihren Filmen oft Anknüpfungspunkte an frühere Filme. "Verbotene Liebe" zum Beispiel war eine Weiterentwicklung von "Erscheinen Pflicht". Gibt es zwischen "Verbotene Liebe" und "Jana und Jan" auch wieder Verbindungen?
"Bestimmt, das glaube ich schon. Ich will nicht sagen, dass das Programm ist, aber wenn ich darüber nachdenke, dann ist das eine intuitive Fortsetzung. Es ist ja eine Geschichte, die in unseren Köpfen gewachsen ist, mit der Geschichte, die wir gelebt haben. Es ist ein Anknüpfungspunkt da, aber das hängt auch damit zusammen, dass ich immer wieder versucht habe, die Welt auch für mich selber neu zu formulieren. Wahrscheinlich kann ich einfach nicht anders, ich brauche immer einen Bezugspunkt: Die jungen Leute, die jetzt bei mir im Film mitgemacht haben, konnten diese Geschichte, ohne nachzufragen oder nachzuhaken, auch so empfinden – irgendwie haben sie es gefühlt, was ich damit will. Und wenn ich bei denen, die mitmachen, das Gefühl habe, dass es funktioniert, dann habe ich zumindest die Hoffnung, dass es auch bei den jungen Leuten im Filmtheater so funktionieren könnte."

Ihr letzter Film "Verbotene Liebe" entstand in der DDR, "Jana und Jan" entsteht im neuen vereinigten Deutschland: Es klang eben schon an, dass die Ereignisse der letzten beiden Jahre auch bei der Entwicklung des Stoffes eine Rolle gespielt haben ...
"Ja, unbedingt. Wahrscheinlich hätte ich die Geschichte gar nicht geschrieben oder umgeschrieben ..."

Der Stoff lag also schon zu DDR-Zeiten bei der DEFA?
"So ganz nicht, es war ein Stoff, der zu alten DDR-Zeiten in einem Werkhof spielte. Ein Erzieher, der 15 Jahre in einem solchen Werkhof gearbeitet hat, hatte die Idee dazu aufgeschrieben."

Werkhöfe waren ja Einrichtungen, die es nur in der DDR gab ...
"Jugendwerkhof ist in etwa so etwas wie in den alten Bundesländern eine Erziehungsanstalt. Jugendliche, die auf irgendeine Weise straffällig geworden sind, waren oder sind dort ungebracht. Zum Teil aber auch Jugendliche, die aus Kinderheimen gekommen sind, entweder hatten die Eltern sie verlassen oder sie stammten aus asozialen Verhältnissen. Und die Jugendwerkhöfe waren auch unterschiedlich, es gab geschlossene oder auch halbgeschlossene, welche nur für Jungen oder nur für Mädchen und auch gemischte. Es war nicht einfach, in einem solchen Werkhof zu leben. Sie existieren jetzt nicht mehr, sie wurden zu offenen Jugendheimen deklariert, und es gibt keine Zwangseinweisungen mehr, sondern nur mehr Empfehlungen. Wie lange sich diese Einrichtungen noch halten werden, weiß ich nicht, aber erstaunlicherweise kamen gerade im letzten Jahr die Jugendlichen wieder von alleine zurück, weil sie dort ein Kollektiv vorfinden oder eine Lehrstelle bekommen oder einen Übergang bis zur Lehre haben. Viele dieser Jugendwerkhöfe stehen jetzt auch vor der Abwicklung oder sind schon zu, weil das Geld dafür nicht mehr da ist."

Zurück zur Geschichte Ihres Films ...
"Also, dieser Erzieher hatte versucht, mit einer Liebesgeschichte etwas über das Leben im Heim zu erzählen. Diese Sammlung von Episoden habe ich genommen und sie in das Jahr 1989/1990 verlegt, zwischen dem 3. Oktober 1989 und dem Juni 1990, kurz vor der Währungsunion. Ich habe das gemacht, weil diese Liebesgeschichte, die dort erzählt wird, etwas mit einer Neufindung des jungen Menschen in seinem Leben zu tun hat. Das ist zwar in jedem Umfeld und in jeder Generation gleich, nur das sich hier auch eine ganze Gesellschaft neu finden muss, denn es passiert in der Wendezeit und die Mauern fallen nicht nur außen, sondern auch innen: Plötzlich ist die Freiheit da und die jungen Leute, die ausbrechen und über die noch vorhandene Grenze gehen können, stellen fest, dass alle etwas anderes zu tun haben. Früher wurden sie gejagt, wenn sie ausbrachen und jetzt ist gar niemand mehr da, der sie jagt. Und so merken die beiden jungen Leute, dass diese sogenannte Freiheit auch Einsamkeit sein kann. Für die jungen Leute ist das tragisch, weil sie glaubten, mit ihrer Liebe etwas gefunden zu haben, was ihrem Leben einen Sinn gibt, und nun sind sie in einer Situation, mit der sie nicht fertig werden."

Das klingt jetzt fast so, als wäre die Geschichte des Films eine Parabel auf die DDR-Gesellschaft in der Zeit des Umbruchs.
"Vorsätzlich habe ich sie nicht als Parabel gebaut, dass es sich im Nachhinein immer mehr dazu verdichtet, ist schon möglich. Es sind nicht nur die jungen Leute, die vor diesen Fragen stehen, ich stehe auch davor. Das geht über die rein wirtschaftlichen Sorgen und Nöte, die wir alle haben, weit hinaus – es kann eine Existenzfrage sein, besonders für die Älteren. Für die Jüngeren weniger, weil sie noch die Hoffnung oder die Perspektive haben, gebraucht zu werden. Wir Älteren werden ja nicht mehr gebraucht, deshalb ist es da besonders schwierig, einen neuen Ansatz zu finden, aber ich mache den Film für die jungen Leute. Trotzdem kann ich keinen Ausweg zeigen und die Geschichte wird tragisch enden: Der tragische Ausgang ist aber nicht zugleich pessimistisch, doch er zwingt jeden jungen Menschen, einen Teil seiner Verantwortung stärker zu spüren. Ich möchte schon, dass Bekenntnisse zu den Skins oder den Faschos ausgeschlossen sind und junge Leute empfinden, dass das nicht der Ausweg ist."

Es gibt ja einen typischen "Dziuba-Stil", den ich jetzt mal auf den platten Nenner bringen will: Erzählen in Bildern, nicht in Worten – Erzählen mit vielen Andeutungen, was sicher auch mit den Bedingungen in der ehemaligen DDR zu tun hatte. Haben Sie daran etwas verändert, hat sich der Stil geändert?
"Nee, diese Frage nach DDR-spezifisch, nach Andeutungen, ich weiß gar nicht, ob das so absolut zu sehen ist. Im Nachhinein ist es so, dass ich diese Art und Weise der Erzählung gar nicht so DDR-spezifisch sehe, sondern Film ist Film, das ist eben kein Hörspiel. Angefangen bei der 'Sabine Kleist', einem besonders wortkargen Film, bin ich der Meinung, dass ein Kind und ein Jugendlicher dazu erzogen werden muss, im besten Sinne des Wortes, zu hören, zu sehen und sich seine eigenen Gedanken in die Bilder zu legen. Ich habe es bei diesem Film genauso gehandhabt, denn ich will Freiräume lassen zum Nachdenken und zum Widerspruch, das ist mein Grundprinzip und das ist ganz und gar nicht DDR-spezifisch. Ich will den Zuschauern nicht sagen, so hast du die Welt zu sehen – daran hat sich nichts geändert, ich bin jetzt nicht offensiver geworden."

In den neuen Arbeitsbedingungen steckt ja auch eine neue Freiheit. Sie konnten Ihr Buch dieses Mal frei von Zensoren und Zensureingriffen gestalten und eventuell auch aggressiver sein.
"Schauen Sie, ich habe mehrere Auftraggeber ..."

... sind das neue Zensoren?
"... das weiß ich noch nicht, diese Erfahrung muss ich noch sammeln. Der Ko-Produktionspartner hat das Buch gelesen und mich tun lassen, aber ein Buch lesen und einen Film sehen und hören ist ein Unterschied. Wie oft habe ich es unter den alten Bedingungen erlebt, dass ich ein Drehbuch mit Hängen und Würgen durchbekommen habe und beim fertigen Film gab es dann ein Drama. Sie haben nach der Aggressivität gefragt, ich sehe die Aggressivität nicht als Auftrag. Meine Aggressivität besteht darin, dass ich viele Freiräume lasse und mit Andeutungen arbeite. Ich will doch was bewegen, und bewegen kann man doch nur, wenn man etwas auf den Tisch legt, was streitbar ist und zur Auseinandersetzung herausfordert. In diesem Sinne bin ich auch hier aggressiv."

Dieses Bewegen-wollen hatte in der Vergangenheit einen klaren Gegner oder einen klaren Bezugspunkt, aber der ist doch jetzt so nicht mehr vorhanden.
"Das ist alles richtig, aber für mich geht es um den Veränderungswillen einer Situation, und der ist auch heute bei mir da. Ich rede von dem, was in der Gesellschaft oder in der Welt vor sich geht. Und es wird sicher Leute geben, denen es wieder weh tut: Nicht aggressiv gegen jemanden sein, sondern mit dem Willen, eine Situation zu verändern, die unbefriedigend ist. Und unsere Situation, nicht als ehemalige DDR-Bürger, sondern allgemein ist unbefriedigend. Ich werde auch nie andere Filme machen können."

Das Gespräch führte Manfred Hobsch

 

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