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Ausgabe 83-3/2000

"Dann bringen wir eben das Orchester ins Kino"

Gespräch mit Randall Meyers, dem amerikanischen Produzenten, Regisseur und Komponisten der Musik des norwegischen Zeichentrickfilms "Der König, der mehr haben wollte als eine Krone"

(Interview zum Film DER KÖNIG DER MEHR SEIN WOLLTE ALS EINE KRONE)

Der 31-Minuten-Film wurde – zusammen mit dem russischen Kurzfilm "Pugalo" ("Vogelscheuche") – beim Kinderfilmfest Berlin 2000 mit dem Spezialpreis des Deutschen Kinderhilfswerks für den besten Kurzfilm ausgezeichnet.

KJK: Sie sind ein gefragter Musiker, haben z. B. die Musik für den Film "Sofies Welt" komponiert. Warum engagierten Sie sich so für diesen vergleichsweise kleinen Animationsfilm?
Randall Meyers: "Als Künstler in diesem Metier sind wir sehr privilegiert. Irgendwann hatte ich das Gefühl, wir sollten etwas von dem Positiven, was wir da kriegen, zurückgeben. Unsere Zukunft sind die Kinder. Aber was ihnen heute an klassischer Musik geboten wird, ist einfach zu wenig. Wenn du mit ihnen ins Konzert gehst, hörst du "Peter und der Wolf", gute Musik, aber eine langweilige Geschichte.
Im klassischen Repertoire gibt es nur eine beschränkte und armselige Auswahl. Und weil Kinder nicht ernst genommen werden, klingen die Stücke nicht selten wie Abfallprodukte. Ich fand, dass auch wir Komponisten dagegen was unternehmen müssen und beschloss, eine Symphonie für Kinder zu schreiben. Als ich darüber nachdachte, ging mir durch den Kopf, dass es eigentlich altmodisch sei, zumindest aber sehr schwierig, ihnen diese Musik nur als Konzert anzubieten. Denn Kinder wachsen heute mit Fernsehen, Videos und Filmen auf, da ist es zu wenig, wenn sie nur ein Orchester sehen können. Also sagte ich mir: okay, dann bringen wir eben das Orchester ins Kino. So wie zu Anfang unseres Jahrhunderts, als ein Pianist oder Orchester die Musik zu den Stummfilmen live im Kino gespielt hat. Das Konzept ist also nicht neu, sondern hat was von einem Kreis, der sich schließt.
Die Idee dieses Projekts war also, kleinen Kindern dieses Stück in nahezu jeder Form anbieten zu können. Wir haben eine Konzert-Version für ein Symphonie-Orchester mit einem Schauspieler, der den Erzähler und alle Personen spricht, die in dem Film vorkommen. Und im Hintergrund ist der Film zu sehen. Wir haben aber auch die Möglichkeit, die Musik ohne Film aufzuführen – dann mit mehr Text, etwa in der Art von 'Peter und der Wolf' – oder eben nur den Film. Als ich mir darüber klar war, haben wir Kontakt mit dem norwegischen Autor Lars Saabye Christensen aufgenommen."

Wie sind Sie zu der Geschichte gekommen?
"Unsere Grundidee war, dass jeder ein König sein kann, weil jeder etwas zu geben hat. Aber um das zu sehen, musst du ein Kind sein. Kinder haben ja nicht so vorgefasste Meinungen wie Erwachsene."

Was gefällt Ihnen an der Geschichte am besten?
"Die Art, wie wir sie erarbeitet haben. Vor zwei Jahren waren wir z. B. in Italien in meinem Haus in Spoleto. Lars hat geschrieben und ich hatte die Tür von meinem Studio offen. Da bekam ich mit, wie meine jüngste Tochter – sie war damals sechs Jahre alt – unten auf der Piazza mit zwei Gleichaltrigen spielte. Ich fand das faszinierend, schrieb auf, was ich hörte, ging zu Lars und sagte: Hör mal, die Kinder machen gerade das und das, kannst du das irgendwie reinbringen? Es war wunderbar, wie Lars und ich zusammen arbeiten konnten – und wir hatten wirklich viel Spaß!"

Wie sind Sie vorgegangen?
"Völlig anders als sonst beim Film. Zuerst haben wir am Text gearbeitet – dann bin ich mit der Musik gekommen und wir haben gemeinsam kontrolliert, wo das Orchester spielt, wo gesprochen wird und wo beides zu hören ist. Ich habe ja für diesen Film keine Hintergrundmusik komponiert, sondern wenn kein Text da ist, erzählt die Musik die Geschichte weiter. Das war unser Konzept. Aber dieses harmonische Gleichgewicht, diese zarte Balance zwischen Musik und Sprache hinzukriegen, war wahnsinnig schwer. Wir arbeiteten wirklich hart an dem Timing, manchmal ging es um eine Note und wenn es nicht ging, habe ich auch Musik weg geschmissen. Wir fingen also vom Ende her an, das heißt als der Film gezeichnet wurde, waren die Aufnahmen mit den Schauspielern für die Animation bereits fertig, die Lieder gesungen und die Musik hatten wir mit dem Prager Philharmonischen Orchester auch schon aufgenommen. Deshalb wirkt der Film so organisch."

Warum haben Sie sich für einen Zeichentrickfilm entschieden?
"Weil Zeichentrickfilme der Phantasie von kleinen Kindern am meisten entsprechen. Ich bin kein Fan von Animationsfilmen für Erwachsene, selbst wenn sie sehr gut und künstlerisch anspruchsvoll sind. Ich habe viele gesehen, aber sie haben mich nie wirklich bewegt. Für Kinder sind sie toll. Wenn sie gut gemacht sind, kommen sie ihrer noch sehr fantastischen Welt ganz nahe. Weil sich aber heute kein Regisseur auf die Altersgruppe festlegt, passiert leider nicht viel Neues auf diesem Gebiet. Als es um die Finanzierung des Films ging, habe ich gesagt, meine Altersgruppe sind Kinder von drei bis acht. Danach verliert sich das magische Denken, sie werden rationaler, wachsen hinein in die Pop-Kultur."

Was kann klassische Musik Kindern heute bedeuten, warum sollte man sie dafür interessieren?
"Man sollte kleine Kinder nicht zu irgendeiner Musik erziehen, sondern ihnen die Möglichkeit geben, Musik zu fühlen. Das ist sehr wichtig. Es ist ja was anderes, Kindern eine Situation zu schaffen, in der sie eine musikalische Erfahrung machen können, als ihnen was beizubringen oder gar zu kaufen. Wir leben in einer Zeit, wo für alles Geld da ist, mehr oder weniger jedenfalls, wo man fast alles kriegen kann, was man braucht und das jederzeit. Und gleichzeitig gibt es eine Art Vakuum, eine Leere in der Vermittlung von Kunst und Kultur. Dabei sind Kinder extrem aufnahmefähig, aufnahmefähiger als die meisten Erwachsenen.
Ich habe in vielen Interviews gesagt, dass ich meine erste musikalische Erziehung den Zeichentrickfilmen von Disney verdanke, denen aus den 30er-, 40er-Jahren. Und ich schäme mich nicht das zu sagen, weil die Musik fantastisch ist. Sie haben Chopin, Strauß, die bestmögliche Musik gespielt, sie hatten wirklich gute Komponisten und fantastische Orchesterleiter – und das alles war in dieser vergnüglichen Weise abgemischt. Aber kulturelle Errungenschaften an Kinder weiterzugeben, ist heutzutage ganz schwierig. Sie sollten auch nicht allein vor dem Fernseher sitzen, sich nicht einsam fühlen, wenn sie Filme angucken. Ganz allgemein sollte Kultur etwas Warmes, Heimeliges sein. Wenn man das mit Projekten wie diesen und ähnlichen schaffen kann, ist schon was erreicht."

Mit kleinen Kindern gibt es da sicher keine Probleme, denn sie sind für alles offen, aber wenn sie in die Schule kommen, muss man erst mal an sie herankommen.
"Wie immer ist der Vertrieb das Problem. Wir wenden uns ja mit unserem Film an kleinere Kinder. Wenn ein Orchester dazu kommt, kann die Altersgruppe noch ein bisschen ausgedehnt werden, weil einige ältere Kinder klassische Musik sehr mögen, vielleicht, weil sie selbst ein Instrument spielen. Dann sehen sie gleichzeitig zu dem Geschehen im Film, was zum Beispiel gerade die Pauke macht. Das macht Spaß, ist richtig ansteckend. Und unser Projekt ist nicht teuer – ich habe meinem Verleger gesagt, es muss preiswert sein, damit die Kinder das auch erleben können. Wenn kleinere Kinos das aufführen möchten oder nur kleine Veranstaltungsräume vorhanden sind, schreiben wir die Musik um für ein kleines Ensemble, damit sie es auch dort mit einem Pianisten, einem Schlagzeuger und einem Schauspieler aufführen können. Wir wollen ja, dass die Musik zu den Kindern kommt! Und es läuft auch schon gut in Skandinavien – nicht nur in den Kinos, auch viele Orchester wollen das Stück spielen. Wir haben bereits neun Aufführungen erlebt in Norwegen und Dänemark, und in Minneapolis wollen sie es mit dem Philharmonischen Orchester aufführen, haben sich aber noch nicht entschieden, ob sie es mit dem Film oder ohne präsentieren wollen. Inzwischen gibt es die Geschichte auch als Kinderbuch und CD – auch in dänischer Übersetzung."

Manchmal schon war das Kinderfilmfest der Berlinale Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten. So wurde der Gewinner des "Gläsernen Bären" vom vergangenen Jahr, der Film "The Tic Code" aus den USA, in dem die wahre Geschichte des amerikanischen Jazz-Pianisten Michael Wolff erzählt wird, im November beim Jazzfest Berlin '99 noch einmal aufgeführt und anschließend haben Michael Wolff und seine Band live die Songs und Kompositionen aus diesem Film gespielt. Vielleicht erleben wir ja Euren "König" hier auch noch mit großem Orchester.
"Das wäre toll, weil Deutschland eine sehr lebendige Konzert-Szene hat – und ich denke, wenn ein Orchester wirklich etwas für Kinder machen will, ist das ein perfektes Projekt. Es ist wirklich nicht aufwändig, denn bei der Produktion habe ich alles getan, damit es einfach zu machen ist. Man kann es sehr leicht dirigieren, auch während der Film läuft. Beim ersten Mal hatte ich ein bisschen Angst. Da war ein junger Dirigent, es gab nur eine Probe, aber es lief vollkommen glatt. Der Text funktionierte, es gab keine Störungen – wir haben gesehen, dass wir das harmonische Gleichgewicht zwischen Wort und Musik wirklich hingekriegt haben."

Erzählen Sie noch etwas über Ihren beruflichen Werdegang!
"Ich bin 1955 in Amerika geboren und hatte eine total anarchistische, wilde und wundervolle Kindheit. Wir waren fünf Geschwister. Mit 13 fing ich an, Jazz-Gitarre zu spielen. Das hatte ich mir vorher selbst beigebracht. Ich hab die Schule verlassen und Musik gemacht, das war eben das, was ich wollte. Und mit 14 bin ich von zu Hause weggegangen, um bei einem Jazz-Festival in der Schweiz zu spielen, in Montreux. Danach bin ich nicht mehr nach Amerika zurückgekehrt, erst 14 oder 15 Jahre später. Nachdem ich in Montreux gespielt hatte, bin ich erst ein paar Monate durch Europa gereist – ich hatte ja nicht vor, hier zu bleiben – und dann blieb ich doch hier. Ich landete schließlich in der Guild Hall Musikschule in London und anschließend in Wien, wo ich vier Jahre an der Hochschule klassische Musik studierte. In Wien hat es mir sehr gefallen, ich bin zum ersten Mal ins Ballett gegangen, habe 'Romeo und Julia' von Prokofiev gesehen und mich entschieden, Komponist zu werden. Und das bin ich ja auch geworden. Zum Film bin ich erst später gekommen, vor fünfzehn Jahren. Die Arbeit fasziniert mich immer noch, denn da geschieht etwas sehr Eigentümliches mit der Musik oder den Tönen, wenn sie mit den Bildern in Beziehung gesetzt werden. "

Was sind Ihre nächsten Projekte?
"Ich komponiere im Auftrag der Nationaloper in Norwegen eine richtige Schauer-Oper, so ein Zwischending aus 'Faust' und 'Dracula' – ich finde ja Coppolas 'Dracula' so fantastisch. Also das wird wirklich schaurig – mit Filmprojektionen, Laser-Show und Massenszenen. Ich habe damit im letzten Jahr angefangen und bin ungefähr zur Hälfte fertig. Jetzt arbeite ich an einem dänischen Film und danach gleich am nächsten – aber ich habe mich entschieden, dann erst mal keinen mehr anzunehmen, sondern mich auf meine eigenen Projekte zu konzentrieren, also die Oper und die Arbeiten für meine Produktionsfirma, die 'floating world films'. Dafür produziere ich gerade einen Film über den Weltraum, also daran arbeite ich auch. Und Lars und ich haben bereits über ein neues Kinderprojekt gesprochen. Ich möchte ein Musical komponieren, in dem Kinder singen. Live auf der Bühne und im Hintergrund wieder Animation, so wie beim 'König'. Wir werden sehen. Wir haben noch eine Menge Ideen, was man für Kinder machen kann, um sie mit Musik zusammenzubringen. Deshalb habe ich mich auch entschieden, in meiner Produktionsfirma neben der Herstellung von Dokumentationen und Wissenschaftsfilmen in Zukunft vor allem Kinderprojekte zu realisieren.

Mit Randall Meyers sprach Uta Beth

 

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