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Ausgabe 91-3/2002

DÔLÉ – DAS LOTTOSPIEL

DÔLÉ / L'ARGENT

Produktion: CE.NA.Ci. + Direct et Différé; Gabun / Frankreich 2000 – Regie und Drehbuch: Imunga Ivanga – Kamera: Dominique Faussett – Schnitt: Patricia Ardouin – Musik: François N'Gwa, Emile Mepango Nzinga, Ella Okoue, Annie Flore Batchiellylis – Darsteller: David Ngouma Nkoghe, Emile Mepango, Roland Nkeyi, Evrard, Ella Okoue – Länge: 82 Minuten – Farbe – Verleih: Kairos (35mm); www.kairosfilm.de – Altersempfehlung: ab 12 J.

Irgendwo über den Dächern von Libreville, der Hauptstadt Gabuns: Ein paar Kids versuchen sich als Rapper, doch es fehlt ihnen der Ghettoblaster, unverzichtbares Requisit des Straßen-Rappers. Da sie kein Geld haben, beschließen sie es zu klauen. So beginnt "Dôlé", der erste Film, der seit 1978 in Gabun entstehen konnte. Imunga Ivanga erzählt die Geschichte von Mougler und seinen Freunden Baby Lee, Joker, Akson (eine Verballhornung von Action) und Bezingo. Zwar verbringen sie ein Großteil ihres Lebens auf der Straße, sind aber keine Straßenkinder, denn die meisten leben in vergleichsweise gesicherten Verhältnissen und gehen sogar zur Schule. Mougler etwa wohnt eigentlich bei seiner schwer kranken Mutter Maraoundou und wird ansonsten von Verwandten betreut.

In lebhafter Inszenierung schildert Ivanga, wie Mougler versucht, zwischen den Ansprüchen von Schule, Mutter und Verwandten einerseits und seinen Kumpels sowie seiner ersten großen Liebe andererseits zurechtzukommen. Als die Mutter todkrank ins Krankenhaus eingeliefert wird, planen er und seine Kumpels den großen Coup: Ziel ist der Kiosk, wo die charmante Verkäuferin Lose fürs große Lottospiel Dôlé verkauft. Doch der wird leider von einem Bewaffneten bewacht, der den Kiosk und dessen Besitzerin schon allein deshalb nicht aus den Augen lässt, weil er in die junge Frau verliebt ist. Doch nach tagelanger Beobachtung glauben sie, den perfekten Plan zu haben. Als der große Tag gekommen ist, gelingt ihnen nicht nur der Überfall, sie kommen auch noch davon. Aber es war alles umsonst, denn als Mougler mit den überlebensnotwendigen Medikamenten im Krankenhaus ankommt, ist seine Mutter schon tot: Sie starb während des Überfalls. Und so konnte er ihr nicht nur nicht helfen, er war auch nicht bei ihr, als sie ihn gebraucht hätte. Nicht mal Abschied nehmen konnte er von ihr.

Trotz dieses traurigen Endes ist Ivangas Film selbst keineswegs traurig. Im Gegenteil: Er sprüht vor Lebensfreude und bietet zudem ein aktuelles Panorama afrikanischen Stadtlebens. Denn Libreville steht hier nur für viele Städte des Kontinents, in denen die Menschen versuchen, sich irgendwie durchzuschlagen und sich vor allem nicht den Lebensmut nehmen zu lassen. Die Jungs im Film sind ein lebendiges Beispiel für diesen Willen: "Ich wollte von Jugend und Adoleszenz in einem urbanen Umfeld reden. Der Film versucht, das Schicksal dieser Jugendlichen in ihrem Alltag zu erfassen. Wenn die Jungs, die in Schwierigkeiten stecken, für sich auch Lösungen finden, über die man sicher streiten kann, so entwickeln sie doch auch ihre großen Projekte." (Imunga Ivanga)

Aber Ivanga wirft auch einen ironisch-bissigen Blick auf die Glücksversprechen, mit denen die Herrschenden versuchen, das Volk bei Laune zu halten. Das titelnde Dôlé ist dafür nur ein Beispiel. Da wird der Gewinner des großen Loses in seinem eher ärmlichen Viertel wie ein König empfangen, das Fernsehen macht eine große Sache daraus und verkündet somit auch: Seht her, jeder von euch kann es schaffen. Oder eben nicht, so wie Mouglers Mutter, die sterben muss, weil sie kein Geld für Medikamente hatte. Auch in der Betrachtung der Jugendlichen weist Ivangas Film über sein Land hinaus; vor allem in der zentralen Bedeutung des Rap, der inzwischen die Musik überhaupt für Afrikas Jugend und ihren Protest gegen die herrschenden Verhältnisse geworden ist. Folgerichtig oszilliert auch die Filmmusik zwischen Rap, Jazz und (afrikanischem) Folk.

Das alles inszeniert Ivanga überaus souverän. Schnelle Schnitte wechseln mit assoziativer Montage. So in einer der poetischsten Sequenzen, in der Mougler mit dem Bus-Taxi nach Hause fährt, sich beim Anblick des Meeres gleichermaßen an schöne Momente mit seiner Liebe aber auch an seine kranke Mutter erinnert. Dass er seinen Film mit Laiendarstellern, die sich im Wesentlichen selbst spielen, realisiert hat, fällt so gut wie überhaupt nicht auf. Das Ergebnis ist afrikanisches Kino vom Feinsten, das auch zeigt, wie sehr sich diese Kinematographie in den letzten Jahren vom westlichen Klischee des ruhigen Dorfkinos entfernt hat und zum urbanen Kino geworden ist.

Lutz Gräfe

 

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