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Ausgabe 101-1/2005

"Wir haben unter den gegebenen Möglichkeiten das Optimale herausgequetscht"

Gespräch mit Gil Mehmert

(Interview zum Film AUS DER TIEFE DES RAUMES)

Wir trafen den Regisseur und Drehbuchautor einen Tag nach der Premiere seines Spielfilmdebüts "Aus der Tiefe des Raumes" in München

KJK: Gestern hatte Ihr Film Premiere und fand bereits in der Filmkritik große Beachtung ...Gil Mehmert: "Ich hoffe, dass er die erste Woche im Kino überlebt. Es ist mein großer Wunsch, dass der Film sich ein bisschen hält. Für uns ist es toll, dass er mit 32 Kopien in die Kinos gekommen ist."

Wann entstand die Idee zu dieser skurrilen Geschichte?
"Das ganze Projekt ist uralt, wir haben vor zehn Jahren damit begonnen. Genau Weihnachten 1994 kam uns die Idee. Wir (das sind Gil Mehmert und sein Freund Eckhard Preuß, der die Tipp-Kick-Figur verkörpert) mögen Biografien und lasen mit Begeisterung das Buch über den genialen Standfußballer Günter Netzer 'Rebell am Ball' – das Geheimnis um die langen blonden Haare, vom Zurechtlegen des Balles – das ist doch schrill, da muss man was draus machen. Eckhard Preuß – das ist Kinski und Herzog auf einer anderen Ebene. Wir sind befreundet wie Feuer und Eis. Ich bin der akribische Arbeiter, er ist eher der Mann für die schrägen Projekte, der aus dem Bauch heraus ein Gespür für so etwas hat. Wir wollten situativ ein Märchen erzählen. Es sind drei langsame Figuren (Hans-Günter, der Tipp-Kick-Fan, Marion, Pressefotografin, und Günter, die zum Leben erweckte Tipp-Kick-Figur) und es geht auch um die Unschuld der 60er-Jahre. Der Film ist gemächlich, ganz im Stil jener Zeit."

Wie viel Geld stand zur Verfügung?
"Eine Million Euro war unser Etat. Wir hatten 27 Drehtage, es fehlte an allen Ecken und Enden. Hätten wir mehr Geld und Zeit gehabt, hätten wir natürlich manches anders gemacht. Wir haben uns gesagt, wir müssen es auf den Punkt reduzieren, auch beim Schnitt. Es ist ein Independent-Film mit eigenem Charme. Und man hat uns gesagt: Was habt ihr für einen schönen ruhigen kleinen Film gemacht.

Sind Sie selbst einer aus der Tipp-Kick-Szene?
"Ich habe mir die Geschichte ausgedacht. Nachts, wenn mein kleiner Sohn schlief, schrieb ich das Drehbuch. Ich konnte zum Beispiel aus Zeitgründen nicht zu Tipp-Kick-Turnieren fahren und musste mir das alles ausdenken, diese Typen, die implodieren. Auch 'Die Dukes' (Beatband) habe ich mir ausgedacht, und das Witzige war, es gab sie wirklich."

Als Theaterregisseur haben Sie Filme auf die Bühne gebracht (zum Beispiel den Kaurismäki-Film "I hired a contract killer" oder "Elling", eine aktuelle Inszenierung im Münchner Metropol-Theater) – holen Sie jetzt auch Ihren eigenen Film auf die Bühne?
"Nein, und hoffentlich kommt auch kein anderer auf diese Idee. Ich habe schon immer gern Geschichten erzählt, mein Medium war das Theater. In diesem Fall war es klar, dass es ein Film wird. Die kleinen Tipp-Kick-Männchen – die Brechung mit der Realität – das geht nur im Kino. Die Tipp-Kick-Männchen sind so klein, dass man sie nicht auf die Bühne bringen kann. Und oft sagten meine Theaterleute zu mir, du bist so pingelig, mach doch mal einen Film!"

"Ukulele Blues" war Ihre erste Filmarbeit, ein Kurzfilm, der mehrfach ausgezeichnet wurde.
"Es fing damit an, dass ich die Geschichte für 'Ukulele Blues' erdacht habe und es war mir klar, dass ich das nur in meiner Ästhetik sehen will, mit meinen Bildern. 'Ukulele Blues' war für mich eine Etüde, ein Crash-Kurs. Ich war nicht auf der Filmhochschule. Ich studierte in Köln Musik, klassische Gitarre, von 1987 bis 1991 Theater-Regie bei August Everding in München."

Im Abspann "Aus der Tiefe des Raumes" steht auch das Kuratorium junger deutscher Film und der Name Inga Pudenz, die seinerzeit Projektberaterin beim Kuratorium war. Sie hatten im Herbst 2000 vom Kuratorium eine Drehbuchförderung von 30.000 Mark + Projektbetreuung bekommen. Wie war die Zusammenarbeit in dieser Hinsicht?
"Wenn einer einmal Ja gesagt hat, eine Förderung gegeben hat, läuft es. Das Buch wurde weiter entwickelt, wir haben ästhetische Bilder und ein Layout gemacht, versucht dem Ganzen eine Form zu geben. Dinge, die massiv beim Drehbuch kritisiert wurden, eine Liebesgeschichte im Badezimmer zum Beispiel, die zu Missverständnissen neigte, wurden geändert. Das Gute am Kuratorium ist, dass auch für einen Jungfilmer des Jahrgangs 1965 wie mich sich die Förderung auf Talent und nicht auf das Alter bezog. Es war toll, dass dem Projekt Vertrauen geschenkt wurde und auch einem noch nicht etablierten Produktionsteam die Chance gegeben wurde, denn es war das erste Langfilmprojekt der Produktionsfirma schlicht & ergreifend. Im Grunde war es für uns alle ein Start. Es war ja ein schräges Projekt, das auch leicht hätte abkippen können."

Der Name Mehmert kommt bei diesem Film mehrmals vor ...
"Mein siebeneinhalbjähriger Sohn hat mitgespielt, und zwar in der Szene im Waschsalon, wo das Kind auf den Kicker zeigt. Es war für ihn richtig aufregend. Eigentlich wollte er gar nicht mitmachen, hatte aber Angst, dass ich ihm deshalb böse sein könnte. Nachher war er superstolz. Es war übrigens ein Waschsalon in Marl, wo ich meine Kindheit verbracht habe. Da schloss sich der Kreis. Ich bin in Herten geboren, in Marl aufgewachsen, danach zwischen Münster und Herne, dann bin ich nach Köln gegangen und jetzt lebe ich in München."

Auch der 60er-Jahre-Klang des Films ist bemerkenswert. Woher kamen der Sound und die Songs?
"Alles wurde extra für den Film komponiert. Die originalen 60er-Jahre-Lieder sind viel zu teuer, da kostet ein Titel schon mal 20.000 Euro. Also haben wir alles selber gemacht, überhaupt, tausend tolle Freunde haben mir geholfen. ich selbst habe Mundharmonika gespielt, meine Frau den Sopran gesungen, Eckhard Preuß sang mit im Chor."

Ein Spielfilm – und wie viele Theaterinszenierungen sind es bisher?
"Bei fünfzig habe ich aufgehört zu zählen. Es müssen über siebzig sein, von Zürich bis Kiel. Und da ich irgendwann als Regisseur fürs Musical entdeckt wurde, bin ich auch Musical-Regisseur geworden, 'Black Rider', 'Carrie', 'Die drei von der Tankstelle', 'On the Town', 'Hair', 'Jesus Christ' – bestimmt zwanzig Musicals ..."

Geht es weiter mit Film?
"Ehrlich gesagt, mir macht alles Spaß. Im Theater geht natürlich alles viel schneller, da kann ich sechs, sieben Stücke im Jahr inszenieren. Jetzt geht das nicht mehr so, denn ich habe Familie, seit drei Wochen ein zweites Kind, und eine Professur für Szene und Regie an der Folkwang-Hochschule in Essen. Ich erzähle gern Geschichten, kann auch meine Leute mitnehmen, die meine Spleens mittragen. Wer mich engagiert, muss wissen, worauf er sich einlässt. Wie in einem guten Sportteam trete ich als relativ autoritärer Gegner auf und ringe um Freiräume."

Mit reduzierten Mitteln die größtmögliche Wirkung erzielen ist zu Ihrem Markenzeichen geworden ...
"Ich mag gerne mit wenig viel erzählen, der Anwalt des kleinen Mannes hat man mich in München genannt. Und kleiner als der Tipp-Kick-Mann geht's ja nicht mehr, und reduzierter auch nicht. Ich mag Rhythmus, archaische Figuren, Phantasie, Poesie – und das mit möglichst wenig Material. "

Film oder Theater – ist das eine Frage für Sie?
"Die Spannung, die man bei der Theaterpremiere hat, ist eine andere als beim Film. Wenn ich Theater mache, kann die Bühne aufs Publikum reagieren, da kommt eine andere Energie auf. Wenn sich beim Film technische Fehler einschleichen, kann man sie nicht mehr verändern. Film ist eine Sache der Kompromisse. Ich hätte mir mehr Zeit und noch mehr Raumtiefe gewünscht. Das kommt nicht heran an das, was ich im Theater machen kann."

Haben Sie schon den nächsten Film im Kopf?
"Es gibt eine Menge Phantasie für Filmstoffe, aber ich habe ja einen Beruf als Theaterregisseur. Film ist eine irrsinnige Arbeit und es besteht die Gefahr, dass das organisatorische Drumherum überhand nimmt. Bei einem neuen Projekt werde ich mich fragen: Zünde ich wieder die Flamme an? Bin ich bereit, mich zu verausgaben? Wenn das nur negativer Stress ist, will ich es nicht machen. Bei dem Film 'Aus der Tiefe des Raumes' war es wirklich toll mit meinem Team, alle hatten sich dieser, meiner Idee verschrieben. Kamerafrau Bella Halben haben wir geholt, weil sie stilsicher ist. Das ist mir auch wichtig bei meinen Ausstattern. Die wissen alle, warum sie was machen, die sind ebenfalls stilsicher. Kamera, Ausstattung und ich, wir haben nicht gesagt, wir müssen jemandem gefallen, damit wir im Filmbusiness bleiben. Wir reizten das Budget aus bis zum Gehtnichtmehr, haben die Leute motiviert und keine Rücksicht darauf genommen, ob uns irgendjemand noch gern hat. Wir haben unter den gegebenen Möglichkeiten das Optimale herausgequetscht."

Interview: Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel

 

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