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Ausgabe 61-1/1995

Puppen und Mythos – Gebrüder Diehl Film

Hintergrund

Ferdinand Diehl begann seine Filmkarriere 1927 in der Kulturfilmabteilung der Münchner Produktionsfirma Emelka. Nach deren Schließung machte er sich im Frühjahr 1929, zusammen mit seinem Bruder Hermann, an die Herstellung eines Silhouettenfilms: "Kalif Storch". Danach widmeten sich die beiden, die fortan unter dem Namen "Gebrüder Diehl Film" firmierten, der Gestaltung von Puppenfilmen. Während Hermann Diehl die Puppen entwarf, war Ferdinand für Regie und die Animation verantwortlich,.

1936/37 entstand in ihrem Studio in Gräfelfing bei München der erste deutsche abendfüllende, von den Diehls frei produzierte Puppenanimationsfilm: "Die sieben Raben". Vor allem aber gestalteten sie im Auftrag der "Reichsstelle für den Unterrichtsfilm" Verfilmungen Grimmscher Volksmärchen wie "Tischlein deck dich", "Der Wolf und die sieben Geißlein" oder "Dornröschen". Der berühmteste Protagonist aus den Filmen der Gebrüder Diehl allerdings ist jener, durch seinen listig gewonnenen Wettlauf mit dem Hasen bekannt gewordene Igel.

Dass "Mecki", wie die Figur zehn Jahre nach ihrem Leinwanddebüt (1939) heißen wird, gar zu einer sozialpsychologischen Ikone der jungen Bundesrepublik Deutschland geriet, verdankte sich allerdings weniger der Diehlschen Verfilmung: Der Herausgeber der damals größten Rundfunk- und Fernsehzeitschrift "Hör Zu!", der Mecki vor seinen Werbekarren spannte, muss gespürt haben, welche Identifikationsmöglichkeiten die charakterlichen Merkmale dieser Figur der Generation der Wiederaufbauzeit bot.

In den Attributen, die Mecki auszeichneten, vermeinten die nach dem Faschismus um Verleugnung der Vergangenheit bemühten Deutschen sich widergespiegelt sehen zu können – unschuldig, gerecht, um Ausgleich bemüht, zufrieden. Die Kleinbürgerlichkeit feierte Triumphe, und man suchte sich im scheinbaren Idyll einer kleinen heilen Welt einzurichten. Diese prekäre Märchenhaftigkeit, die Ausblendung alles Bösen, die Sehnsucht nach einem Zustand kindlicher Unschuld ist jedoch nicht erst durch die "Hör Zu!"-Strategien in den Igel gelegt. Das gesamte Miniatur-Universum der Diehlschen Arbeit scheint dieser Haltung zwischen überschaubarer Heimatlichkeit und naiver Gartenlaubengemütlichkeit verpflichtet. Und gerade weil der in den Puppenfilmen der Firma Diehl aufgehobene kleinbürgerliche Idealismus einen Prototyp deutscher Innerlichkeit verkörpert, durch den das Diehlsche Privatuniversum universale Bedeutung erlangt hat, lohnt die Auseinandersetzung mit ihrem Werk.

Die Diehls unterhielten nicht nur von 1929 bis 1970 das bedeutendste deutsche Puppenanimationsfilm-Studio; letztendlich berühren ihre Filme eine Erinnerung in vielen von uns. Entweder der erste Besuch eines Lichtspieltheaters oder einer Filmprojektion in der Schule galt oft einem Puppenfilm der Brüder Diehl. Von den 30er- bis zu den 60er-Jahren gehörten ihre Arbeiten zum Standardrepertoire der nachmittäglichen Kinovorstellungen oder der 16mm-Vorführungen in den Schulen. Fast zwangsläufig wurden ganze Generationen mit ihrem Puppenpersonal bekannt gemacht.

Die Diehls haben zwar, von geringen Ausnahmen abgesehen, ihren Filmen keine originären Stoffe zugrunde gelegt, aber sie haben neben dem legendären Igel auch Puppen zu kreieren gewusst, die sich nicht nur durch technisches Raffinement und Detailversessenheit der Gestaltung auszeichnen, sondern vor allem eine illustre Menagerie aus teils historisch-naturalistischen und teils karikaturhaft überzeichneten Charakteren bilden. Und so sind es auch vielfach weniger die filmischen Realisierungen vertrauter Sujets, als vielmehr diese die Märchen und Schnurren der Diehls bevölkernden Typen, welche sich im kollektiven Bilderbewusstsein behaupten.

Die Brüder Diehl haben, eine Ausnahmesituation im Filmgeschäft, über einen Zeitraum von 40 Jahren produziert. Dabei entstanden mehr als 60 Filme, vornehmlich reine Puppenfilme, aber auch solche, in denen Puppenaufnahmen mit Realspielszenen kombiniert sind, sowie über 100 Werbefilme. Eine Ausstellung im Deutschen Filmmuseum Frankfurt unter dem Titel "Mecki, Märchen und Schnurren" stellte das Werk der Diehls sowie die Geschichte ihrer Firma vor – anhand der Original-Puppen, Szenen – und Werkfotos sowie Produktionsunterlagen von Drehbüchern und Storyboards über Scherenschnitte, Animationszeichnungen, Puppen-, Kostüm-, Dekorations- und Plakatentwürfe, Partituren zu Filmmusiken bis zu Filmausschnitten. Eine Retrospektive im Kommunalen Kino des Deutschen Filmmuseums mit allen der in vorführbarer Qualität erhaltenen Kopien vervollständigte diese Werkschau.

Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher Katalog, der neben Abbildungen und filmografischen Daten Beiträge über die Firma Diehl, ihre Filme, ihre Puppen und den Mythos Mecki enthält. – Information: Deutsches Filmmuseum, Schaumainkai 41, 60596 Frankfurt, Telefon 069 / 2123 88 36

 

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