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Ausgabe 16-4/1983

Ludwig Thomas "Lausbubengeschichten"

(Hintergrund zum Film LAUSBUBENGESCHICHTEN)

Das Projekt 'Geschichte des deutschen Kinderfilms' wird von der Stiftung Kuratorium junger deutscher Film, Wiesbaden, finanziell gefördert.

Inhalt / Reaktionen der Kinder während der Vorführung

Der Film wird eingeleitet vom Geistlichen Rat, der aus dem Buch des Ludwig Thoma liest. Die geschilderten Lausbubengeschichten sind in einzelne Abschnitte mit jeweils eigener Handlung aufgeteilt.

Im ersten Teil wird die Geschichte vom Regierungsrat aus Köln erzählt, dessen Frau die kleinbürgerlich vornehme Gesellschaft imitiert, letztlich aber kann die eigentliche Herkunft nicht verleugnet werden. Ludwig nimmt die Bekanntschaft mit dem Sohn des Regierungsrats zum Anlass, seine Streiche zu verwirklichen und den sogenannten "feinen Leuten" eins auszuwischen. So sprengt er das gute alte "Preußenschiff" des Sohnes in die Luft – worüber sich die Zuschauer im Kino begeistern. Der Hintergedanke, der Zwist zwischen Preußen und Bayern, wird den Kindern nicht deutlich. Sie amüsieren sich auch köstlich über den "Kölsche Dialekt". Ebenfalls großes Gelächter ernten die Szenen mit den weißen Mäusen, die Ludwig im Schlafgemach der Eheleute aussetzt. Bestürzt empfinden die Kinder die Angelegenheit, als der Regierungsrat Geld für das in die Luft gesprengte Preußenschiff von Ludwigs Mutter verlangt.

Die zweite Geschichte handelt von dem Besuch der allgemein unbeliebten Tante Frieda und ihrem Papagei Lora, die seit dem Tode ihres Mannes nichts Besseres zu tun hat, als die Verwandtschaft zu schikanieren. Da vor allem Ludwig dieselbige am wenigsten leiden mag, nicht zuletzt, da sie seit ihrer Ankunft alles durcheinander bringt, lässt sich Ludwig einen besonders wirksamen Streich einfallen. Er entwendet den Papagei aus seinem Käfig und setzt stattdessen die Katze hinein. Der Streich hat Erfolg, Tante Frieda reist ab. An dieser Stelle des Films setzt großes Gelächter ein. Einige kleine Zuschauer haben den Vorgang nicht ganz verfolgen können und glaubten, die Katze hätte tatsächlich den Papagei gefressen. Im Publikum konnte man Reaktionen wie "das geschieht ihr ganz recht" oder "das ist vielleicht eine blöde Tante" hören.

Auf diesen Streich folgt sogleich der nächste. Dieses Mal richten sich die Lausbübereien gegen Hochwürden, einen Geistlichen, den sie "Kindlein" nennen. Doch Ludwig muss einige seiner Schandtaten bis nach der Firmung aufsparen, da ihm Hochwürden gedroht hat, ihn nur dann zur Firmung zuzulassen, wenn er sich bessert. Die Kinder im Kino finden den Geistlichen streng und gemein.

Schließlich folgt die vierte Geschichte. Während dieses Teils der Vorführung werden die Kinder zunehmend und unüberhörbar unruhig. Besonders die politischen Auseinandersetzungen des Landtagsabgeordneten, der zugleich die Aufgabe des Firmpaten für Ludwig übernommen hat, mit seinen politischen Gegnern, finden nur bei den Erwachsenen Verständnis und veranlassen die Kinder zu Gesprächen und Platzwechsel. – Trotz Warnung des Hochwürden heckt Ludwig noch am Tag nach seiner Firmung einen Streich aus, wobei eine kostbare heilige Figur zerbricht. Nach diesem Vorkommnis muss Ludwig von der Schule und wird auf Empfehlung der Verwandtschaft in ein Internat gesteckt. Doch auch in dieser Dressurschule des Hauptmanns Semmelmaler, der durch seinen angeblichen Mut, seine nationale Gesinnung, Treue und Liebe zur bayerischen Heimat bekannt geworden ist, unterlässt Ludwig seine Streiche nicht, die wiederum letztlich erfolgreich wirken: Ludwig darf zurück nach Hause. Besonders intensive Lachsalven waren im Kino zu vernehmen, als Ludwig mit dem Feuerwerk die Feigheit des Hauptmanns entblößt oder bei der Szene im Zugabteil, als Ludwig und sein Freund eine dicke Zigarre rauchen und die Erwachsenen zum Narren halten. Der letzte Teil handelt vom Besuch der schönen Cousine Cora aus Indien, die es Ludwig sofort angetan hat. Hier tritt er sogar als Heiratsvermittler zwischen dem Förstergehilfen und der Cora auf. Gegen Ende des Films führen die Kinder mehr einzelne Gespräche untereinander, dem Film wird keine besondere Beachtung mehr geschenkt.

Bewertung

Der Film kam bei den Erwachsenen mehr an als bei den Kindern. Besonders jüngere Zuschauer fanden kaum Zugang zur Thematik und Absicht des Films, mit Ausnahme der Streiche. Die Handlung des Films ist zum Teil nicht mehr adäquat für die heutige Zeit, den meisten Kindern fehlte die Information über den geschichtlichen Hintergrund des Geschehens. Sie sind wenig mit der damaligen Problematik und den Konflikten zwischen Preußen und Bayern vertraut, oder gar mit der politischen Bedeutung. Die Kinder konnten auch kaum etwas mit der ideologisierten Treue und Liebe zur bayerischen Heimat und der Verehrung des bayerischen König Ludwig anfangen. Die bayerische Hymne kannte kein befragtes Kind. Auch die bayerische Musik empfanden sie nur als "komisch".

Die einzelnen Lausbubenstreiche mögen hin und wieder Identifikationsmöglichkeiten bieten, z. B. das Aussetzen von Mäusen gegen unbeliebte Erwachsene oder das "Ausschmieren" von Erwachsenen. Jedoch sind die Autorität, die die Erwachsenen der damaligen Zeit verkörperten, und deren Erziehungsmethoden nicht mehr aktuell. Im Großen und Ganzen bleibt dies ein Film für Erwachsene.

Petra Römer

 

Informationen zum Film (aus der Presseinformation des Verleihs Columbia-Bav.)

"Thoma, der seine satirische Tätigkeit 1897 unter dem Pseudonym Peter Schlemihl im 'Simplizissimus' begann (später war er dort auch Redakteur), hatte freilich seinerzeit keine große Mühe, Objekte seines Spottes zu finden: Das ewige Spießertum, das Preußische der Wilhelminischen Zeit, die Unduldsamkeit, die Scheinmoral, der Dünkel, die Verlogenheit, falsche Frömmelei, Klerikalismus, Scheinheiligkeit und aufgeplusterte Autorität aller Farbschattierungen. Das wohl berühmteste und vor allem populärste Buch Ludwig Thomas (neben den viel gelesenen und viel belachten Filser-Briefen) trägt den Titel 'Lausbubengeschichten' und erschien im Jahre 1905 (bereits vorher war ein Vorabdruck der einzelnen Episoden im 'Simplizissimus' erfolgt), und zwei Jahre später ließ Thoma, des großen Erfolgs wegen, die Fortsetzung 'Tante Frieda' erscheinen. Diese von hinreißender Komik erfüllten Jugendstreiche des kleinen Ludwig Thoma, unvergleichlich köstlich illustriert von dem berühmten Olaf Gulbransson (1873-1958), haben heute bald eine Auflage von 350.000 Exemplaren erreicht. Wer sie liest und sich von Herzen amüsiert, wird bei flüchtiger Lektüre meinen, Thoma ginge es hier lediglich um im Schuljungenjargon erzählte Flegeleien. Aber hinter den vordergründigen Lausbubengeschichten verbirgt sich die satirische Spiegelung der Erwachsenen in der Kinderseele, die eben auf die dumme Überheblichkeit, Einbildung, Scheinmoral und Verlogenheit der Erwachsenen ... verdientermaßen mit saftigen und wirkungsvollen Flegeleien reagiert."

Zeitgenössische Kritik

Enno Patalas in "Filmkritik" (1964): "Der Film hat der Vorlage mit der Sprache schon den Hauptteil ihrer Schärfe genommen, den Rest besorgen Erfindungen wie die Schlussszene – ein Traum, in dem der gute König Ludwig dem Knaben einen Orden verleiht (als habe dem kleinen Thoma danach der Sinn gestanden!) – und eine Rahmenhandlung, die die monarchistisch fromme Kehrtwendung des alten Thoma um Jahrzehnte vorwegnimmt: Da liest ein gemütvoller Kleriker – einer von denen, die er im Buch mit beißendem Spott beschrieben hat – seiner Haushälterin das Thoma-Buch vor; seht's, ihr Leut', die Pfaffen sind gar nicht so, wie der Thoma immer getan hat."

 

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KJK-Ausgabe 16/1983

 

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