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Ausgabe 62-2/1995

KRÄHEN

WRONY

Produktion: OKO Film Studio / Telewizja Polska, Polen 1994 – Regie und Buch: Dorota Kedzierzawska – Kamera: Arthur Reinhart – Schnitt: Dorota Kedzierzawska, Arthur Reinhart – Musik: Wlodek Pawlik – Darsteller: Karolina Ostrozna ("Krähe", ein neunjähriges Mädchen), Kasia Szczepanik (ein dreijähriges Mädchen) u. a. – Länge: 66 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Jeannine Seawell, Seawell Films, 45, rue Pierre Charron, F-75008 Paris, Tel.(...) 1 47201873, Fax (...) 1 47201543 – Altersempfehlung: ab 10 J.

Das Gesicht eines Mädchens taucht auf, und mit einem halb spielerischen, halb boshaften "Krah – Krah" wendet es sich direkt an die Kamera, dann weitet sich das Bild, gibt den Blick frei und wir sehen das Mädchen an einem Strand entlang rennen, kein anderer Mensch ist weit und breit zu sehen. Auch in der Schule ist "Krähe" allein, hat keine Freundinnen und gehört nicht zu den behüteten Mädchen, die im properen schwarzen Dress zur Gymnastik erscheinen, sondern muss in der Unterwäsche antreten. Zornig läuft sie durch die leeren Straßen, lärmt mit ihrem Stock an eisernen Zäunen, um bald darauf auch zu Hause allein am Tisch zu sitzen. Traurig fragt sie sich im Selbstgespräch, warum sie immer allein essen muss und fleht "Mama, ich möchte mit dir zusammen essen", während sie wütend den Suppenteller vom Tisch stößt.

Als die Neunjährige ein etwa dreijähriges Mädchen in der Nachbarschaft sieht, genauso blond wie sie, mit neugierigen Augen und liebevoll von der Mutter umsorgt, fasst sie einen Entschluss: "Du könntest mir gehören." Zu Hause fühlt sie sich überflüssig – die Mutter bekommt sie kaum zu Gesicht, Vater gibt es keinen – und deshalb beschließt sie, fort zu gehen, und wieder richtet sie Worte der Enttäuschung an die abwesende Mutter: "Du hast mich nie lieb gehabt, kein bisschen." Sie lockt das kleine Mädchen zu sich, und unbefangen steigt es durch ein Loch im Gartenzaun. Hand in Hand machen sich die beiden auf den Weg. "Krähe" spürt zum ersten Mal Zärtlichkeit, erklärt der Kleinen, dass sie jetzt ihre "Mama" ist, nimmt sie mit zu sich nach Hause, versorgt sie liebevoll, ist dennoch immer auf der Hut. Die nächste Station ihrer Sehnsucht ist das Meer, und in einem Fischerboot machen sie es sich bequem, bereit, dem kalten Alltag davon zu segeln.

Dramatisch wird es, als "Krähe" ihren Schützling über Bord stößt, weil die Kleine ihr liebstes Spielzeug, zwei Püppchen aus Papier, zerrissen hat. War sie aber gerade noch außer sich, fühlt sie sich im gleichen Maße verantwortlich. Nachdem der Schreck überstanden ist und sich beide wieder versöhnt haben, bringt "Krähe" das Kind wieder zurück, setzt es heimlich und behutsam vor dem Haus ab, wo es von den Eltern, die sich schon Sorgen gemacht haben, in die Arme genommen wird. Und sie selbst hat den sehnlichen Wunsch, dass ihre Mutter sie ein einziges Mal in die Arme nehmen möge, "Mama, halt mich fest".

Der Film der polnischen Regisseurin Dorota Kedzierzawska ist in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich. In der heutzutage fast unüblichen Länge von nur gut einer Stunde wird die Geschichte eines Mädchens "auf der Suche nach sich selbst" (Dorota Kedzierzawska) dicht und eindringlich erzählt, dennoch unprätentiös, ohne viele Worte und auf die Kraft der Bilder vertrauend. Dass der Film noch lange im Gedächtnis bleibt, ist außer seiner hervorragenden formalen Gestaltung und dem berührenden Thema auch dem unbefangenen Spiel der beiden Mädchen zu verdanken, die gar nicht den Eindruck machen, als stellten sie eine Rolle dar. Dass eine Dreijährige (!) mit solch einer Natürlichkeit vor der Kamera agiert, ist schon bemerkenswert. Das spricht für den richtigen Blick bei der Auswahl, aber auch für eine gute Atmosphäre im Team, wodurch Szenen in dieser Intensität möglich waren.

Dorota Kedzierzawska (geboren 1957 in Lodz) studierte drei Jahre an der Moskauer Filmhochschule, wo ein Schwergewicht der Ausbildung auf der Arbeit mit Schauspielern lag, kehrte 1980 in ihre Heimat zurück und schloss 1985 ihr Studium an der renommierten Filmschule Lodz ab. "Krähen" ist – nach dem mehrfach ausgezeichneten "Diably Diably" (1991) – ihr zweiter Spielfilm, mit dem geringen Budget von nur 400.000 DM realisiert.

Ein mutiger und ehrlicher Film über Einsamkeit und Verzweiflung, aber auch über Zuneigung und Zärtlichkeit, der beim diesjährigen Kinderfilmfest in Berlin Kinder wie Erwachsene beeindruckte und von der Kinderjury einen Preis bekam.

Christel Strobel

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 62-2/1995 - Interview - Nackt vor der Kamera

 

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