Produktion: One Fine Days Films; Deutschland / Kenia 2010 – Regie: Hawa Essuman – Buch: Billy Kahora – Kamera: Christian Almesberger – Schnitt: Ng´ehte Gitungo – Musik: Xaver von Treyer – Darsteller: Samson Odhiambo (Abila), Leila Dayan Opollo (Shiku), Krysteen Savane (Nyawawa), Frank Kimani (Macharia), Joab Ogolla (Abilas Vater), Lucy Gachanja (Abilas Mutter) u. a. – Länge: 60 Min. – Farbe – FSK: ab 6 J. – Verleih: X Verleih – Altersempfehlung: ab 10 J.
Abila macht sich große Sorgen. Am Morgen hat er seinen Vater matt und müde im Hinterraum seines kleinen Geschäfts in Kibera, dem größten Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi, gefunden. Man habe ihm seine Seele gestohlen, sagt er. Sofort rennt Abila los, um Hilfe zu holen. Seine Mutter jedoch geht nicht auf ihn ein. Wahrscheinlich hat der Vater wieder einmal zu viel getrunken, wie so häufig. Abila aber lässt nicht locker. Als er auf der Straße einen Bekannten seines Vaters trifft, verstärkt dieser Abilas Befürchtungen. Sein Vater sei erst vor kurzem noch bei der Nyawawa gewesen, der Geisterfrau. Mit der Hilfe seiner Freundin Shuki gelingt es Abila tatsächlich, die Nyawawa zu finden. In einer ganz normalen Hütte sitzt sie. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen im Halbdunkel, umso deutlicher hingegen, dass sie den Huf eines Tieres hat. Um seinem Vater wirklich helfen zu können, muss Abila jedoch erst sieben Prüfungen bestehen. Denn nur ein Erwachsener kann eine Seele retten.
Seelendiebstahl und Geisterfrauen – was nach einem Fantasyfilm klingt, ist in "Soul Boy" in der Gegenwart verankert und in der Realität eines ganz normalen 14-jährigen Jungen. Wie in der afrikanischen Erzähltradition üblich, gibt es keine strikte Trennung zwischen mythischer und alltäglicher Erfahrung: Das Übernatürliche ist stattdessen ein Bestandteil des Lebens – und daher ist es nur selbstverständlich, dass die Geisterfrau Nyawawa inmitten der Menschen in dem Slum lebt, in einer kleinen Seitengasse. Ebenso führen die sieben Prüfungen Abila nicht in ein fantastisches Abenteuer, sondern beziehen sich immer wieder auf sein Leben. Die Aufgaben der Nyawawa sind der Anstoß für eine Bildungsreise, die Abila verändern wird und die ihn allmählich in die Gesellschaft der Erwachsenen einführt. Mit Selbstlosigkeit und Gerechtigkeit setzt sich Abila auseinander, als er mit einem Diebstahl konfrontiert wird. Er muss sein traditionell geprägtes patriarchalisches Frauenbild in einem öffentlichen Theaterspiel mit Shuki korrigieren und wird sich zugleich bei einem Ausflug mit seiner Tante bewusst, dass die reichen Weißen in Kenia nicht unbedingt glücklicher sind als die armen Slumbewohner. Es zählt zu der großen Stärke dieses afrikanischen Coming-of-Age-Films, dass er tatsächlich einen authentischen Einblick in eine andere Kultur ermöglicht, ohne eine Außensicht einzunehmen. Gesellschaftliche Probleme wie Rassismus, Alkoholismus oder Gewalt werden dabei weder ausgespart noch betont, sondern fließen vielmehr beiläufig in die Geschichte ein.
Die deutsche Kinoauswertung dieses kleinen, mittellangen Films aus Kenia ist wahrscheinlich vor allem dem Engagement von Tom Tykwer zu verdanken. Als Supervisor und Mentor unterstützte Tykwer das Filmprojekt, das im Rahmen eines Workshops der alternativen Produktionsfirma One Fine Day Films in Zusammenarbeit mit kenianischen Nachwuchsfilmemachern/innen unter der Regie von Hawa Essuman entstand. Dass es im Endprodukt kaum Manierismen wie aufwändige Kamerabewegungen oder Split Screens gibt, wie sie aus Tykwers eigenen Regiearbeiten bekannt sind, kann man ihm in seiner beratenden Funktion hoch anrechnen. Doch zugleich hätte etwas mehr Schwung dem Film auch gut getan. Was der konventionellen Inszenierung fehlt, ist die Energie, Wut oder Leidenschaft, die in so vielen Filmen steckt, die aus ähnlichen schwierigen Lebensverhältnissen stammen.
Stefan Stiletto
SOUL BOY im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.
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