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Ausgabe 68-4/1996

LE CRI DU COEUR

Produktion: Les Films de la Plaine / Les Films de l'Avenir / le Centre Européen Cinématographique Rhône-Alpes; Frankreich / Burkina Faso 1994 – Regie: Idrissa Ouedraogo – Drehbuch: Idrissa Ouedraogo, Robert Gardner, Jacques Akchoti – Kamera: Jean Monsigny, Jean-Paul Meurisse – Schnitt: Luc Barnier – Musik: Henri Texier – Darsteller: Richard Bohringer (Paolo), Saïd Diarra (Moctar) u. a.- Laufzeit: 86 Min. – Farbe – 35mm – Weltvertrieb: Les Films de la Plaine, 2 rue Paul Eluard, F-93100 Montreuil, Tel. 0033-1-48 51 98 68, Fax 0033-1-48 51 98 42 – Altersempfehlung: ab 10 J.

"Ich habe keine besondere Botschaft zu geben. Ich habe einen Film zu zeigen. Die Zuschauer nehmen sich davon, was sie brauchen. Aber es ist sicher, dass es einen gemeinsamen Nenner gibt: das Gefühl." (Idrissa Ouedraogo)

Filme wie "Yaaba", "Karim und Sala" machten Idrissa Ouedraogo auch unter Kinderfilmfreunden bekannt. Der heute 43-jährige Filmemacher zählt zur zweiten nachkolonialen Generation afrikanischer Filmemacher und hat nach inzwischen über 12 Filmen (davon fünf langen Spielfilmen) zum ersten Mal in Europa gedreht:

"Le cri du coeur" (wörtlich: Der Schrei des Herzens) erzählt die Geschichte des etwa zehnjährigen westafrikanischen Jungen Moctar, der zum ersten Mal sein Dorf verlassen muss, weil seine Mutter und er dem Vater in die französische Großstadt Lyon folgen, wo dieser sich eine Existenz als Besitzer einer Auto-Werkstatt aufgebaut hat. Das ist für den Jungen um so härter, weil er sich nun auch vom geliebten Großvater trennen muss, um den er sich gekümmert hat und mit dem er viel Zeit in Freiheit verbrachte, wobei sich der alte Mann bemühte, dem Jungen auch etwas von seinen Wurzeln und seiner Tradition zu vermitteln. In Lyon angekommen, hat Moctar erhebliche Anpassungsprobleme. Als wäre das nicht genug, wird er auch noch von einer Hyäne verfolgt, die jedoch außer ihm niemand zu Gesicht bekommt. Die Eltern – vor allem der Vater – stehen dem mit Unverständnis gegenüber und halten seine Visionen für ein psychisches Problem, welches sie mit den üblichen westlichen Mitteln – also Psychiater und Medikamente – zu lösen versuchen. Doch der europäische Weg ist nicht Moctars Weg. Das zu erkennen, hilft ihm der 50-jährige Außenseiter Paolo, ein LKW-Fahrer, der wie Moctar eine Bürde der Vergangenheit mit sich herumträgt: Einst tötete er bei einem Autounfall ein Kind, und seitdem lebt er mit einer Frau am Rande der Gesellschaft. Moctar und Paolo werden Freunde über kulturelle Grenzen hinweg und stellen sich am Ende in einer afrikanischen Zeremonie gemeinsam dem Verfolger.

"Die Tatsache, dass ich in einer neuen Umgebung gedreht habe, bedeutet nicht, dass ich nicht mit der gleichen Sensibilität gearbeitet hätte wie in Afrika. Es geht darum, unseren Aussagen mehr Wahrhaftigkeit und eine universelle Gültigkeit zu verleihen, auch wenn wir weiterhin unsere Überzeugungskraft aus unseren Kulturen gewinnen." (Idrissa Ouedraogo)

Wie schon seine vorherigen Filme erzählt auch dieser vom steten Widerspruch zwischen Tradition und Moderne, zwischen Stadt und Land; nur eben diesmal nicht in Afrika, sondern zwischen Afrika und Europa. Einfühlsam beschreibt er die ganze Verlorenheit und Zerrissenheit des kleinen Moctar, der zwischen allen Stühlen einen neuen Weg für sich finden muss. Dabei verzichtet er auf jegliche Thematisierung europäischen Rassismus; ganz im Gegenteil: Der einzige, der Moctar wirklich versteht, ist ein Weißer. Ouedraogo ging es darum, zu zeigen, dass Europa für Afrikaner auch so schwer genug ist. Und er macht sich auf die Suche nach Afrika und Afrikanern in Europa. Nach "Samba Traoré" ist "Le cri du coeur" die konsequente Fortführung einer filmischen Arbeit, die sich stets mit der condition humaine der Afrikaner befasst, die untersucht, wie sich Afrika verändert und was diese Veränderungen für die Menschen und ihre Kultur bedeuten. Insofern ist der Schritt nach Europa nur konsequent; reflektiert er doch unter anderem auch sein eigenes Leben und das seiner meisten Kollegen, die wie er inzwischen fast alle zumindest zeitweise in Europa leben (müssen), wollen sie von ihrer Arbeit auch leben können.

Selbstverständlich bedeutet der Wechsel nach Europa auch eine Änderung in den filmischen Mitteln: Dominierten in seinen afrikanischen Filmen jene berühmt gewordenen langen Einstellungen und Totalen, die die Menschen in die Weite der afrikanischen Landschaft einbetteten, so folgt er jetzt seinen Figuren in schneller geschnittenen Takes; zumindest in Lyon: Beginnt der Film in Afrika noch mit eben jenen Totalen in weiter Landschaft unter offenen Himmel, so ist der Himmel in Lyon für Moctar und den Zuschauer einfach nicht vorhanden. Erst am Ende, wenn Moctar seinen Frieden mit sich und der Stadt gefunden hat, kann er auch wieder den Himmel sehen: In einer Totale sitzt er mit Paolo hoch über der Stadt auf einer Bank und genießt das Panorama; befreit von den Geistern der Vergangenheit kann er nun seinen Weg gehen und wie sein Freund Paolo einen neuen Anfang wagen.

Lutz Gräfe

 

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