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Ausgabe 71-3/1997

"Man wird gelobt für die wunderbare Absicht, einen Kinderfilm zu machen, doch die konkrete Unterstützung dann ist eher halbherzig"

Gespräch mit Steffi Kammermeier, Regisseurin und Drehbuchautorin des Films "Dizzy, lieber Dizzy" (Deutschland 1995, 88 Min., Farbe, 35mm)

(Interview zum Film DIZZY, LIEBER DIZZY)

KJK: Gedreht im Sommer 1995, fertig gestellt im Sommer 1996, uraufgeführt beim KinderFilmfest Berlin Februar 1997, wird "Dizzy, lieber Dizzy" von Steffi Kammermeier (Jahrgang 1959, zwei Kinder) nun im Herbst ins Kino kommen. Wie ist die Filmidee entstanden?
Steffi Kammermeier: "Aus einer Laune heraus. Bei den Hofer Filmtagen, bei dem ich mit meinem ersten Übungsfilm 'Kinderträume' (1984) war, lernte ich einen Redakteur vom WDR kennen, der beklagte, dass es keine Drehbücher mit Geschichten über alte Leute und Kinder gäbe. Spontan antwortete ich: Ich habe da etwas – ohne eine Ahnung zu haben, was ich erzählen könnte. Über Nacht kam mir eine Geschichte."

Die vom zehnjährigen Mädchen Mimi und ihrem musikalischen Hund Dizzy?
"Die erste Idee war, von einer Beziehung zwischen Großvater und Enkelkind zu erzählen. Das Mädchen sollte relativ allein sein – zehn, elf Jahre alt – sollte mehr unfreiwillig zu seinem Großvater kommen. Im Laufe der Geschichte sollten sie aneinander wachsen und zueinander finden. Das war 1986. Dann ist der Geschichte buchstäblich ein Hund zugelaufen, und in dem Moment entstand 'Dizzy'."

Woher kommt dieser Hund?
"Aus einer Tierversuchsreihe, das war so meine Vorstellung. Die Inspiration kam von Peter Gabriel, der eine Gefängnissituation besingt. Diese Vorstellung übertrug ich auf das Tier. Daraus entstand ein starkes Anliegen, ich befasste mich mit dem Tierschutz und engagierte mich. Dann bin ich sehr lange mit dieser Geschichte schwanger gegangen – das Filmemachen hat viel mit Kinderkriegen zu tun."

Wann kam es zur "Geburt"?
"Erst mal ließ ich die Geschichte liegen, erzählte sie dann Harry Göckeritz, Drehbuchautor und ehemaliger Kollege auf der Filmhochschule. Sie gefiel ihm. Ina Siefert, Sängerin und Musikerin, wollte auch mitmachen. Eine Dreierkonstellation entstand."

Warum ließen Sie sich darauf ein?
"Es gibt Stoffe, mit denen ich allein nicht weiterkomme. Ich hatte das Gefühl, da muss noch eine andere Farbe rein. Während Harry Göckeritz viel Gespür für die Struktur, die dramaturgische Seite einbrachte, hat Ina Siefert eine ausufernde Phantasie. Die beiden entwickelten das Treatment und Ina sollte die erste Drehbuchfassung schreiben, was mir sehr entgegenkam, denn ich war zu dieser Zeit schwanger. Doch dann, kurz vor Geburt und Abgabetermin, zog sie sich zurück und Harry musste einspringen. Die zweite und die folgenden Fassungen schrieb ich in Absprache mit Harry Göckeritz."

Doch in der Stabliste vom Film taucht der Name Harry Göckeritz nicht mehr auf. Warum?
"Genau weiß ich das bis heute nicht. Als der Film endlich fertig war, zog er seinen Namen zurück. Vermutlich erkannte er sich nicht wieder in dem Film. Er hatte Situationen geschrieben, die am Drehort, der Ostseeinsel Rügen, nicht vorzufinden waren. Ich musste das Buch schließlich adaptieren und zudem starke Kürzungen vornehmen, da die Ausgangsversion zu lang war."

Worin liegt Ihre Stärke?
"Es sind die emotionalen Zwischenebenen. Mich interessieren Menschen, auch Kinder, in emotionalen Zwangslagen, Kindergefühle, die sich sehr ähneln. Ich habe ein genaues Gespür, ob emotional etwas glaubwürdig ist oder nicht, ob es sich folgerichtig aufbaut, ob die Figuren stimmen. Es ist immer schwierig, das auch in die Tat umzusetzen. Man hat Figuren im Kopf, und es ist eine lange Suche nach den richtigen Worten."

Ist Mimi die kleine Steffi?
"Ja, das ist natürlich eine Art Alter ego, ich finde da schon viel von mir, ein Mädchen, das viel für sich behält."

War der Film von Anfang an als Kinderfilm konzipiert?
"Lange hatte ich einen Widerstand. Es war für mich auch immer eine Geschichte für Erwachsene, weil sie über Kindheit erzählt, Entwicklung, Brüche. Ich finde die Zuordnung Kinderfilm / Erwachsenenfilm sowieso grausam. Aber es war mir klar, dass es für die Realisierung wichtig wurde, den Film in ein Genre münden zu lassen. Es wurde immer klarer, dass es ein Kinderfilm ist. Ich hatte Angst davor, dass es läppisch wird, wollte es ernst genommen wissen. Mittlerweile weiß ich, dass es eine sehr viel größere Herausforderung ist, einen Kinderfilm zu machen als einen anderen."

Haben Sie geahnt, was dadurch auf Sie zukommen würde?
"Die erste Reaktion war positiv, mit dem Tenor: Was, Sie machen einen Kinderfilm? Phantastisch! Ganz toll! Wichtig! Aber in dem Moment, wo man konkret fragt, wird es enorm schwierig. Also, man wird gelobt für die wunderbare Absicht, doch die konkrete Unterstützung ist eher halbherzig. Und die Bereitschaft, in finanzielle Vorleistung zu gehen, ist sehr gering."

Und doch haben Sie es geschafft, Ihren Kinderfilm zu drehen. Wie?
"Wir hatten viel Pech mit der Finanzierung. Wir rechneten mit einer Viertelmillion vom Bayerischen Rundfunk, der Südwestfunk hatte ähnliches verlauten lassen, Kopierwerkbereitstellung und Bares, und der Mitteldeutsche Rundfunk wollte ebenfalls Bares bringen. Dann kam die Hiobsbotschaft, dass der BR mit SWF und MDR nun doch nicht voll mitzieht. Ich flehte den BR an, bitte, bitte nicht hängen lassen, wir sind sechs Wochen vor Drehbeginn, woraufhin der BR die Förderung in Form von Bereitstellung der Nachbereitung zusagte, Überstellung von Personal und Technik. Es klaffte ein Loch von 200.000 Mark."

Gründe genug, das Projekt zur Seite zu legen ...
"Ja, die Koproduzenten hätten es am liebsten gestoppt, doch Dieter Horres hatte den Mut, mit dem Produzieren anzufangen. Schließlich waren schon längst Kosten entstanden durch Motivsuche, das Casting usw. Das Mädchen wurde über eine Agentur gefunden, der Hund über eine Karlsruher Tiertrainerin. Mit jedem Tag wurde es wackeliger. Trotz allem ist es dann doch wie auf dem Bahnhof, man springt auf den Zug und kommt weiter."

Wann begannen die Dreharbeiten auf Rügen?
"Anfang Juli 1995. Ich reiste mit Kind und Kegel an, das heißt mit Tochter Teresa, mit Mutter, mit Mann, der die Rolle des Bösewichts spielt. Ohne ihn wäre es nicht gegangen, das muss ich sagen. Mein Mann hat alles am Laufen gehalten, er ist Schauspieler und hat viel Energie und Zeit investiert, damit dieser Film fertig wurde."

War es eine schöne Zeit auf Rügen?
"Ich bin noch heute am Rätseln, ob da ein Unstern drüber stand. Wir mussten sehr vorsichtig mit den Kosten sein. Vieles war auf Abruf, ständig gab es Probleme mit der Ausstattung, der Organisation. Es musste immer das Billigste sein, was nicht immer das Beste ist. Das verursachte viele Probleme auch im Team, miese Stimmung. Fast täglich stand ich mit dem Rücken an der Wand, musste Probleme lösen statt mich auf das zu konzentrieren, was ich eigentlich wollte. Gerettet haben mich meine Kinder, meine Filmkinder. Die Schauspieler waren mein Erholungsfeld. Diese Arbeit ist für mich sowieso das Schönste beim Filmemachen, der Rest ist Handwerk. Aber manchmal herrschte grenzenloses Chaos."

Wie reagierten Sie persönlich darauf?
"Ich weiß noch genau, wie ich bei einem Nachtdreh im Schilf stand. Es regnete in Strömen, es klappte wenig, ich stand wie immer mittendrin und konnte so wenig tun, dass es besser lief. Ich fragte mich: Wofür das alles? Warum bürdet man sich diesen Wahnwitz auf? Das alles für fünf Rollen Zelluloid? – Ich wollte etwas schaffen, das Bestand hatte, noch ein Kind zum Beispiel, da habe ich mehr davon ... Sechs Wochen später war ich in anderen Umständen."

Im Sommer 1996 standen zwei Geburten bevor – die Ihres Kindes und Ihres Films. Kann man das miteinander vergleichen?
"Ja, Filmemachen und Schwangerschaft ist ein kreativer Prozess und sich sehr ähnlich – die lange Latenzzeit, man sieht noch nichts, es ist aber schon etwas da, dann wird es immer sichtbarer, immer konkreter, auch immer beschwerlicher, weil mehr damit verbunden ist. Das Drehen und Schneiden beim Film ist ein Gebärprozess, und hat man das Baby endlich auf die Welt gebracht, weiß man noch immer nicht, ob es ein vernünftiger Mensch wird. So geht es auch mit dem Film. Kommt er dann auf den Markt, weiß ich gar nicht, ob sich alles einlöst, was damit an Energie und Zeit verbunden war. Eins kann ich sagen: 'Dizzy' war weitaus die schwerere Geburt als die meiner Tochter Mirela Sabrina, die am 5. August 1996 zur Welt kam."

Mit Steffi Kammermeier sprach Gudrun Lukasz-Aden

 

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