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Ausgabe 71-3/1997

"Das Thema ist die Konfrontation mit dem Tod"

Gespräch mit Ian Mune, Regisseur des Films "Der ganze Mond" (Kanada/Neuseeland 1995, 96 Min., Farbe, 35mm)

(Interview zum Film DER GANZE MOND)

Das folgende Interview wurde beim 20. KinderFilmfest Berlin geführt, wo der Film im Wettbewerb lief.

KJK: Die schauspielerische Leistung Ihrer beiden jungen Hauptdarsteller, Nikki Si'ulepa und Toby Fisher, war sehr beeindruckend. Wie gehen Sie vor, wenn Sie die Darsteller für einen Film suchen?
Ian Mune: "Wenn ich Vorsprechen veranstalte, dann mache ich das selbst. So finde ich heraus, ob die jeweiligen Menschen und ich gut aufeinander reagieren. Wenn man für den Film besetzt, sind nicht nur handwerkliche Fähigkeiten wichtig, sondern der/die Darsteller/in muss bestimmte Qualitäten der Figur besitzen. Also, wer zum Casting eingeladen wird, hat's schon halb geschafft, weil er im Prinzip der richtige Typ für die Rolle ist. Dann proben wir lange – nicht, um zu lernen, wie man etwas sagt, sondern um zu verstehen, durch welche Gefühle die Figuren gehen. Ich arbeite nach der 'Stanislawski-Methode', das heißt, der Schauspieler fragt sich: Was ist mein Ziel? Was will ich erreichen und was behindert mich dabei und wie werde ich mit den Hindernissen fertig, um mein Ziel zu erreichen. In dem Stil arbeite ich mit ihnen. So etwas haben sie noch nie gemacht. Also wissen sie nicht richtig, was sie davon halten sollen, aber sie sind scharf auf den Job und sie vertrauen mir und machen mit. Die Methode ist einfach zu verstehen, und unerfahrene Schauspieler kommen mit dieser Technik sehr einfach tief in ihre Gefühle. Später, wenn wir drehen, rede ich nie darüber, wie sie etwas sagen sollen. Ich spreche nur über ihre Gefühle und was wir während der Proben gemacht haben.
Toby z. B. war sehr gut in der Szene, wo er als Kirk den Appell macht. Er weinte während der ganzen Szene, wirklich gut. Und ich dachte: 'Das stimmt so nicht.' Aber wir hatten wenig Zeit, er hatte es gut gespielt, und so sagte ich: 'O.K., weiter mit der nächsten Szene.' Ein paar Tage später, wir waren wieder im selben Set, hatten schnell gearbeitet und ich hatte ein wenig Zeit übrig, sagte ich: 'Toby, was hältst du davon, wenn du noch mal die Appellszene probierst?' Er sagte: 'Oh, darf ich?' Und ich fragte ihn: 'Warum sagst du, darf ich?' Und er antwortete: 'Ich glaube, ich hab's falsch gespielt. Ich hätte nicht die ganze Zeit weinen sollen.' Also haben wir die Szene noch mal gedreht, und er war wieder sehr gut und seine Augen blieben die ganze Zeit trocken und ich sagte: 'Gut gemacht, das haben wir jetzt, jetzt lass uns mal versuchen, den Moment zu finden, wo du vielleicht doch anfängst zu weinen.' Wir haben es gedreht und das ist der Take, den wir dann genommen haben. Toby war derjenige, der es kontrolliert hat. Er wusste, was richtig und was falsch war. Er braucht nur ein bisschen Zeit, um darüber nachzudenken. Das liegt daran, dass es von innen kommt und nicht von außen aufgedrängt wird."

Nikki Si'ulepa, die Darstellerin der Marty, hatte vor diesem Film so gut wie keine schauspielerische Erfahrung. Umso erstaunlicher ist ihre überzeugende Verkörperung der Marty-Figur. Ist Nikki ein ähnlicher Typ wie Marty, also hat sie sich mehr oder weniger selbst gespielt?
"Unser Selbst ist größer als das, was wir in der Regel davon zeigen. Also lautet die Antwort: Ja, sie hat sich selbst gespielt, aber sie ist überhaupt nicht wie Marty, sie ist das genaue Gegenteil davon. In ihren Augen tanzt immer ein Lachen, sie ist sehr frech. Sie neckt ständig die Leute, sie macht Witze mit völlig ernstem Gesicht, und keiner weiß, was er davon halten soll, und dann lacht sie, und jeder entspannt sich. Sie ist eine große Entertainerin. Also, sie ist überhaupt nicht wie Marty, aber sie hat eine dunkle Seite in sich, und sie hat ihre Marty in sich gefunden. Nikki ist sehr intelligent. Sie gehört zu der Sorte Menschen, denen alles gelingt, was sie auch anpacken. Wenn sie sich entscheidet, etwas zu tun, wird sie es gut machen, egal, was es ist. Sie will gar keine Schauspielerin sein, sie wäre lieber Regisseurin. Sie hat immer gesagt: 'Ich will deinen Job!' (lacht) Nikki vertritt Aukland in mehreren Sportarten, sie ist eigentlich eine Athletin."

Von wem stammt die ursprüngliche Idee zum Film?
"Von Richard Lymposs, dem Drehbuchautor. Er hat zunächst über zwei zwölfjährige Jungen geschrieben. Der ursprüngliche Gegner in dieser Geschichte waren die Autoritäten des Krankenhauses. Der starke Junge lehrte den schwächeren Jungen, sich gegen die Autoritäten aufzulehnen, so wie Kinder in einem Internat. Ich war einverstanden und mir gefielen die Situation und die Beziehungen, und ich ging ins Krankenhaus und traf die Belegschaft, die Schwestern und die Ärzte, und ich traf die Eltern der kranken Kinder, die sich eine Matratze mitbringen und abwechselnd am Bett ihres Kindes wachen. Jedem der Krankenhausbelegschaft sollte eine Medaille verliehen werden, sie sind wundervoll. Diese Leute als eine Art Autoritätenproblem darzustellen, wäre sehr unfair. Also fragten wir uns, was ist dann das Thema? Das Thema ist die Konfrontation mit dem Tod, mit deinem schlimmsten Albtraum. Erst glaubst du, du erträgst es nicht, dann findest du einen Weg, dich dem Problem zu stellen. Das war unsere Geschichte, und Richard und ich begannen, daran zu arbeiten."

Die Zuschauer Ihres Films folgen ja der Geschichte von Kirk, der durch ein diagnostiziertes und lebensbedrohliches Krebsleiden plötzlich völlig aus seinem bisherigen Leben rausgerissen wird.
"Zuerst lebt Kirk ja dieses Teenie-Leben, was die Kids nicht groß hinterfragen. Sie wissen gar nicht, wie viel Energie sie haben, wie viel Leben sie besitzen, weil ihnen die Endlichkeit des Lebens nicht bewusst ist. Aber später, wenn sie sich mit der Endlichkeit abfinden müssen, wenn sie älter werden, wenn sie das erste Mal scheitern oder an gebrochenem Herzen leiden, dann werden ihnen die Schwierigkeiten und Freuden des Lebens bewusster. Sie spüren ihre eigene Energie, ihre Depressionen und all diese Dinge und sie leben ein erfüllteres Leben, ein wissenderes Leben. Der Film beginnt so, wie Kirks Leben am Anfang eben aussieht. Er hüpft von einer Sache zur nächsten, hat Spaß daran und gewinnt immer, und es ist eine ziemlich oberflächliche Angelegenheit. Als er seine Krankheit realisiert, wird er langsamer und auch der Film bremst, er folgt Kirks Reise."

Welche Eindrücke hatten Sie vom Berliner Publikum?
"Ich habe einen sehr starken Eindruck von einer empfindsamen, intelligenten Generation junger Leute, die sich gut ausdrücken kann. Man findet ja überall junge Leute, die so ein bisschen wie Kirk sind. Im ersten Moment wirken sie sorglos, unverantwortlich und hart, aber wenn sie mit Herz bei der Sache sind, dann sieht man ihre Qualitäten. Und so habe ich es auch hier erlebt, z. B. im Titania-Filmpalast, mit vierhundert Teenagern, die während der Vorführung gepfiffen und getrampelt und dazwischen gequatscht haben, so dass es der Film schwer hatte. Aber nach der Vorführung, als sie über den Film geredet haben, da waren sie ganz anders. Da waren sie offen und engagiert, und ich war sehr beeindruckt von ihnen."

Was war für Sie die wichtigste Erfahrung im Zusammenhang mit diesem Film?
"Ich denke, die Wirklichkeit der Leute mit lebensbedrohlichen Krankheiten und wie sie sie erleben. Wenn das Bewusstsein eines jungen Menschen mit etwas klarkommen muss, wovor sich selbst ein erwachsenes Bewusstsein fürchtet. Das hat mich sehr berührt. Die Menschen vom Krankenhauspersonal kennen zu lernen, die mit den kranken Kindern arbeiten und die ganze Solidarität, die ich bei den Schulfreunden und Verwandten der Kinder erlebt habe, das hat mich alles sehr beeindruckt.
Professionell verstehe ich jetzt besser die feine Grenzlinie zwischen 'die Wahrheit einfach ausdrücken' und 'auf Wirkung und Effekte aus sein'."

Mit Ian Mune sprach Harald Pilar von Pilchau

 

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