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Ausgabe 21-1/1985

"Sie haben sich den Film ja ganz gut ausgedacht"

Gespräch mit Jörg Foth, Regisseur des Films "Das Eismeer ruft", DDR 1984

(Interview zum Film DAS EISMEER RUFT)

KJK: "Bei der Diskussion nach Ihrem Film "Das Eismeer ruft" meinte ein Kind: 'Sie haben sich den Film ja ganz gut ausgedacht gleich am Anfang.' Ich möchte aber lieber mit einem Punkt vom Schluss Ihres Films anfangen: Ich finde, dass die Kinder im Film eine gewisse Ähnlichkeit mit den Erwachsenen im Dokumentarmaterial haben. Ist das Absicht oder Zufall?"
Jörg Foth: "Also so schön hat's noch nie einer gesagt, aber ich habe immer gedacht, es steckt in beiden dieselbe irre Haltung. Die einen sind eben fortgeschrittener und haben ein Schiff – leider gehen sie unter – und die anderen, die bauen sich so ein paar Sachen und gehen eben eigentlich auch unter. Aber innerhalb dieser beiden Misserfolge gibt es soviel Kraft und gesunde Naivität, wie etwa der Kameramann, was mich irgendwie umhaut. Wie die da alle ums Leben Angst haben, stellt er sich auf das Eis, egal wie das Licht ist; das Schiff geht unter, dreht er eben, wie das Schiff untergeht. Diese Haltung, die spüre ich in dem Dokumentarmaterial und die spüre ich bei den Kindern, die sich da aufmachen, insofern geht es mir auch so wie Ihnen, dass es da Ähnlichkeiten in der Veranlagung gibt."

Steckt hinter dieser Ähnlichkeit nicht auch die Frage nach dem Ruhm, dass Ruhm etwas mit Erwachsensein zu tun hat, und dass die Kinder im Begriff sind, erwachsen werden zu wollen?
"Also, ich glaube nicht, dass sich diese Gedanken für ein Kinderpublikum stellen, aber für jemanden, der mit solchen Fragen sowieso schwanger geht, da bin ich sicher, der findet in diesem Film Anschlüsse, darüber nachzudenken. Wenn etwa die Kinder mit dem Zug losfahren, da kommt noch einmal dieser Satz, 'aber wenn wir zurückkommen, dann sorgen wir dafür, dass auch der Rudi berühmt wird'. Das ist eine anerzogene Floskel, im Grunde genommen. Die Kinder können ja nichts dafür."

In diesem Rollenspiel steckt ja einiges an Kinderpsychologie, etwa der Vergleich, das sich Schminken, nur dass eben nicht jedes Kind dabei so weit geht wie die Kinder dieser Geschichte.
"Im Grunde genommen spielen die Kinder über ganz viele Szenen Erwachsenenwelt nach, also Doktorspielen, Kochen, Verkleiden. Ich bin davon überzeugt, dass bei den einzelnen Kindern, nicht nur bei den Leinwandkindern, sondern bei allen Kindern, in unterschiedlichem Grad dieses Erwachsenwerden und das In-die-Welt-finden über ein Nachspielen der vorhandenen Lebenskonstellationen geht. Jedes Kind betreibt das eben in unterschiedlichem Grad, so dass es in unterschiedlichem Tempo schließlich zu unterschiedlichen Positionen führt."

Die Kinder in diesem Film lernen etwas. Zum einen, dass das Erwachsenwerden doch nicht so schnell geht, zum anderen gewinnen sie eine andere Einstellung zur Erwachsenenwelt. Am Anfang des Films werden die Erwachsenen noch sehr negativ gezeichnet, aber am Schluss sind sie dann – vielleicht mit Ausnahme des Wirts – eigentlich alle positiv gezeichnet. Ich sehe da Parallelen.
"Nun, ich finde eigentlich, die Erwachsenen sind am Ende noch genauso negativ wie am Anfang, nur lernt man sie in ihrer Funktion als Eltern mehr schätzen."

Aber die Erwachsenen, denen die Kinder ab der Tante begegnen, sind doch positiv."
"Ja, die Tante und die Flößer. Also, ich würde mich schon dazu bekennen, dass der Film kritische Dinge gegenüber der Erwachsenenwelt enthält. Aber es ging mir in dem Film 'Das Eismeer ruft' nicht so sehr darum. Es ging mir mehr um die positiven Qualitäten der Kinder als um Schuldfragen oder so etwas. Dazu ist es sowieso zu spät. Man kann sich nur darum kümmern, dass Leute heranwachsen, die die produktiven Verhältnisse erweitern."

Ist eigentlich die Milieuschilderung sozialkritisch gemeint?"
"Nein, ich glaube nicht. Sie ist sachlich. Ich habe mir Fotos angesehen aus der Zeit und wir sind nicht soweit gegangen, wie uns die Fotos bringen wollten. Der gesundheitliche Zustand der Kinder damals war eigentlich viel haarsträubender und wir haben auf die schlimmsten Dinge verzichtet, weil die Sozialkritik an Zuständen vor fünfzig Jahren in einem anderen Land etwas gewesen wäre, wobei ich mich nicht allzu wohl gefühlt hätte. Das einzige, was mir mit der Milieuschilderung irgendwie verbunden scheint, ist, dass solche Kinder aus einem solchen Milieu kommen. Das scheint mir wichtig und das halte ich eigentlich nicht für eine Kritik am Milieu."

Es gibt ja in "Das Eismeer ruft" auch einen Zeitungsausschnitt, den einer der Jungen aufhebt – mit Laurel und Hardy – und der Ferdi nennt seine Maus wohl auch nicht ganz zufällig Michael. Gibt es für Sie Vorbilder?
"Das ist übrigens zum ersten Mal, dass ich nach dem Mäusenamen gefragt werde und dass dieses Foto in einem Interview angesprochen wird. Mir ist das ganz wichtig. Ich will zeigen, dass es für Kinder eigentlich immer die Möglichkeit gibt, zwischen Micky Maus oder Dick und Doof und zwischen der 'Tscheljuskin' zu wählen. Also für alle Kinder zu allen Zeiten gibt es immer diese Möglichkeit. Am Anfang des Films steht das etwas konträr gegeneinander, also zu konsumieren oder zu produzieren. Dass das nicht ganz so verbissen gemeint ist, sieht man ja dann etwa daran, dass der Wirt den Quark ins Gesicht bekommt. Man soll ja den ganzen Slapstick und diese Dinge nicht über Bord werfen, nur es darf nicht dabei bleiben. Die Kinder müssen auch eine andere Betätigung finden und in der Lage sein, sich anders zu betätigen. Es ist keine globale Kritik an dieser amerikanischen Unterhaltung, nur es ist eigentlich die Bitte und die Hoffnung, dass es nicht dabei bleibt, dass diese Dinge nicht zum Universum werden. Ich sehe unheimlich gerne Buster Keaton, ja? Aber es wäre schlimm, wenn eben alle Menschen nur Buster Keaton sehen würden."

Aber brauchen die Menschen nicht beides?
"Das meine ich ja. Im ersten Drittel des Films wird diese angebotene Unterhaltung mehr in Frage gestellt, finde ich, durch diesen harten Schnitt vom Schiffsuntergang auf Dick und Doof, deren Bild der Junge dann beiseite legt, weil es ihn nicht interessiert. Da wird das in Frage gestellt. Am Ende tritt dann aber insofern eine Korrektur ein, weil Dinge, die von Dick und Doof kommen, in den Film einfließen, in ihm wirksam werden, nicht möglich gewesen wären, wenn es keinen Slapstick gegeben hätte. Das ist dann das Bemühen, beides zu verbinden. Wenn man das eine gehabt hat, soll man auch lachen können."

Aber ist unter diesen Voraussetzungen Ihr Film nicht ein Widerspruch in sich, denn Ihr Film unterhält ja auch? Zur Hilfsbereitschaft anregen kann ja möglicherweise sogar ein Laurel-und-Hardy-Film.
"Aber, da sage ich einfach ja. Das ist ein Widerspruch in sich, da sage ich ganz fröhlich ja dazu."

Etwas ganz anderes: Die Musik zum Vorspann klingt wie das Einstimmen eines Orchesters ...
"Ach, das ist schön, dass Sie das so sagen, weil ich da nämlich auf diesem Hof gestanden habe und diskutierte wie ein Blöder. Ich sagte, wir brauchen jetzt in der Vorspanneinstellung hier nichts. Die Kamera dreht sich einmal ringsrum und wir sehen den Ort, wo alles stattfinden wird. Die Bühne sozusagen, also das Heim der Kinder, das Herz des Geschehens eben. Das wird einmal um 360 Grad abgeschwenkt, wie die Bühne, wenn man Platz nimmt. Da ist sie eben da und dazu nimmt das Orchester Platz und jeder dudelt mal da rum und so allmählich formiert sich dann das, was später einmal das Motiv wird, so ganz in der Schwebe und vorsichtig. Also genauso hatte ich mir das erhofft, und ich habe die Gelegenheit genutzt, das so zu realisieren, auch in Hinsicht auf eine Jazzorientierung. Da sind ja herrlich schräge Klänge drin."

Während im Film die Musik zeitgemäßer wird.
"Konventioneller wird. Wobei ich es für wichtig hielt, dass die Musik keine Kindermusik wird und auch nicht die böhmische Mentalität widerspiegelt oder reiner Jazz wird, sondern dass dieses politische Moment, das in den Kindern ja immer in einer merkwürdig verkappten und unbewussten Form arbeitet, in der Musik auch eine Entsprechung findet."

Warum ist dieser ihr Erstlingsfilm eigentlich eine Literaturverfilmung?
"Dabei ist ganz viel Zufall im Spiel. Seit sieben Jahren bin ich von der Filmschule weg. In dieser Zeit war ich mit verschiedenen Stoffen zusammen, das waren nicht alles Kinderfilme, nicht alles Literaturverfilmungen. Und dann kam eben dieser Stoff. Nachdem die anderen Stoffe schon nicht realisiert wurden, gab es auch bei diesem bis kurz vor Drehbeginn keine Garantie, dass der Film gedreht würde. Es ist also viel Zufall dabei gewesen, dass gerade das der erste Film wurde."

Würden Sie nach den Erfahrungen mit diesem Film sagen können, ob Sie lieber Kinder- oder Erwachsenenfilme machen möchten?
"Nun, es war auch hier nicht so, dass ich den Film lieber gemacht habe als einen der Erwachsenenstoffe, die ich hatte. Es ist nur so, dass ich von diesem Stoff das Gefühl hatte, er ist gut für die Kinder in dieser Welt. Das ist etwas, das man unseren Kindern einmal erzählen sollte. Wenn ich wieder so einen Stoff in die Hand bekäme, dann sofort einen Kinderfilm, aber ansonsten habe ich andere Wünsche. Ich möchte sehr gerne ein Rockmusical machen für Jugendliche und möchte sehr gerne eine Komödie machen zum Schreien für Erwachsene."

Die DDR ist ja auf dem Kinderfilmsektor recht aktiv. So an die zehn Filme im Jahr, sagt man.
"Im Allgemeinen werden in Babelsberg pro Jahr vier bis fünf Kinderspiefilme fürs Kino gedreht und etwa dieselbe Menge für das Fernsehen. Daneben gibt es natürlich noch reine elektronische Fernsehproduktionen aus der riesigen Kinderabteilung."

Ihr Film war mit zwei Millionen etwas teurer als der durchschnittliche Kinderfilm.
"Ja, etwas. Im Allgemeinen liegt der Preis etwas darunter. Bei einigen der aufwändigen Märchenfilme aber wohl auch darüber."

Gibt es in der DDR eigentlich auch so etwas wie den Autorenfilm?
"Glaube ich nicht, dass es den in der Form gegeben hat, wie er sich bei Euch da mal so irgendwie herausgebildet hat. Das hängt immer damit zusammen, dass die Filmherstellung ohne Ausnahme eingebunden ist in einen großen betrieblichen Vorgang. Der Grad, in dem die einzelnen Regisseure sich realisieren können, in so einem Vorgang, der ist ganz unterschiedlich. Man könnte allenfalls einteilen in eigenwilligere Regisseure und Regisseure, wo man am Endprodukt nicht unbedingt ablesen könnte, wer ihn nun eigentlich gemacht hat. Aber den eigentlichen Autorenfilm gibt es vielleicht eher im Dokumentarfilmbereich. Da gibt es ein paar Filme und ein paar Leute, wo alles persönlicher gehalten ist und wo man erkennt, das muss von dem sein. Im Dokumentarfilm gibt es so etwas sicherlich und vielleicht bei den Studentenfilmen, die bei uns ja komischerweise eine sehr wichtige Rolle spielen, obwohl sie nicht so sehr in der Öffentlichkeit wirken. Aber sie sind da und es sind ganz interessante Arbeiten dabei. Da sind Filme dabei, die würden Sie Autorenfilme nennen."

Das Gespräch führte Wolfgang J. Fuchs

 

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