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Ausgabe 98-2/2004

MAGNIFICO

Produktion: Violett Films; Philippinen 2003 – Regie: Maryo J. Delos Reyes – Buch: Michiko Yamamoto – Kamera: Odyssey Flores – Schnitt: Manet Dayrit – Musik: Lutgardo Labad – Darsteller: Jiro Manio (Magnifico), Danilo Barrios (Miong), Isabella De Leon (Helen), Lorna Tolentino (Edna), Albert Martinez (Gerry), Gloria Romero (Lola Magda) u. a. – Länge: 123 Min. – Farbe – 35mm – Weltvertrieb: Ferdinand Lapuz, 1055A Forestwood Drive Unit 109, CDN-Mississauga, ON L5C 2 T8, Tel. 905-272 81 23, e-mail: flapuz@ica.net – Altersempfehlung: ab 8 J.

Wenn sich Herzen öffnen – Ein Engel war gekommen, nach Berlin zum Kinderfilmfest der Berlinale 2004. Er hieß Magnifico und er hat die Besucher, kleine wie große, verzaubert. Als er nach mehr als zwei Stunden ging, hielt der Saal den Atem an. Dann war Schluchzen und Schnäuzen zu hören, doch als es hell wurde, blickte man ausschließlich in strahlende Augen. "Der Film ist wunderbar", stellte die Fachjury, die den Preis des Kinderhilfswerkes zu vergeben hatte, kurz und bündig fest. Und die Kinderjury ergänzte in ihrer Begründung für die Vergabe des "Gläsernen Bären" an den gleichen Film, dass sie "emotional mitgerissen" gewesen sei. Der "Zoopalast" ist mit diesem Wettbewerbsbeitrag der Kinderfilmsektion der 54. Internationalen Filmfestspiele um eine Episode großen Kinos der Gefühle reicher.

Die Geschichte von dem kleinen philippinischen Jungen Magnifico hat unmittelbar die Herzen der Zuschauer erreicht, weil sie eines der Hauptdefizite der modernen, global strukturierten und auf materielle Effizienz ausgerichteten Welt aufgreift. Es geht um uneigennützige Liebe, die selbst in ausweglosester Situation noch einen Moment von Glück zu erzeugen vermag. In Magnificos unmittelbarem Lebensumfeld sind so ziemlich alle existenziellen Katastrophen, von denen Menschen heimgesucht werden können, vereint. Die Großmutter erkrankt unheilbar an Krebs und der Vater fühlt sich als Versager, weil er durch seine wenigen Gelegenheitsjobs kaum die materielle Lage der Familie verbessern kann. Die Mutter ist ob der schwerstbehinderten Tochter permanent überfordert und der Bruder bringt sich um die aufrichtige Liebe seiner Freundin, weil er weniger an das Mädchen als an deren mögliche Mitgift denkt. Ein Nachbar verbittert angesichts seines Geizes, andere erscheinen böse, weil sie die Lebensweise des jeweiligen Gegenübers nicht tolerieren können.

Der Junge hat keinerlei Mittel, um eines der Probleme im herkömmlichen Sinne wirklich lösen zu können. Doch er beklagt die Umstände nicht, er nimmt sie, wie sie sind, und er schafft durch Nächstenliebe Freiräume, die es den Betroffenen ermöglichen, aus dem individuell bedrückenden Kreislauf auszubrechen. Höhepunkt des Films ist jener Moment, als Magnifico seine behinderte Schwester zur Kirmes trägt. Jeder Erwachsene hätte dies tun können, doch keiner war auf die Idee gekommen. Jetzt, angesichts der glücklichen Kinder, brechen die Reifen um die Herzen.

Was bis hierhin leicht als Kitsch abzutun gewesen wäre, bricht der Film auf dramatische Weise. Magnifico stirbt bei einem Unfall. Er geht, mit ihm geht der Engel und er hinterlässt eine nachdenklich gewordene Umgebung und, was noch wichtiger ist und was die Größe des Films ausmacht, nachdenkliche Zuschauer. Die Botschaft lebt im Publikum weiter. Davon zeugten die leuchtenden Augen nach den Tränen des ersten Schocks. Was kann Kino eigentlich mehr erreichen?

Es war das erste Mal, dass ein philippinischer Film auf dem Kinderfilmfest der Berlinale zu sehen war. Was dabei am meisten erstaunte, war neben seiner dramaturgischen und technischen Perfektion die gedankliche Nähe, die er zum europäischen Publikum fand. Die Welt mit all ihren Problemen und Sorgen ist enger zusammengerückt. Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede, doch sie haben weit weniger Trennendes, als man bei der geografischen Entfernung gemeinhin glauben möchte. Das Geld, ob vorhanden oder auch nicht, hat überall eine zentrale Stellung in der Werte- und Lebensorientierung eingenommen. Genau hier setzt der Film mit seinen Fragen an. Magnifico geht mit dem Thema Geld mitnichten naiv um, für ihn ist es aber nicht der Mittelpunkt seines Denkens und Handelns. Dadurch kann er unbefangen und selbst bestimmt agieren. Bertolt Brecht stellt in seinem "Guten Menschen von Sezuan" die Frage, ob die schlechte wirtschaftliche Lage die Menschen zwangsläufig daran hindert, gut zu sein. Der Film "Magnifico" verneint dies. Er lässt an das Gute im Menschen glauben und eine solche Botschaft, wenn sie zumal noch überzeugend vorgebracht wird, trifft die Sehnsucht vieler.

Die Geschichte erzählt das Leben seines Protagonisten von dessen Geburt bis zu seinem frühen Tod. Dabei wird konsequent der Blick des Jungen aufgenommen, doch es wird keine isolierte Kinderwelt konstruiert. Es gibt keine geschützten Räume für Kinder. Sie müssen sich mit den Konflikten im Alltag auseinander setzen und dies wollen sie in der Kunst wiederfinden. "Magnifico" ist ein Kinderfilm und gleichzeitig ist er im wahrsten Sinne ein Familienfilm, der mit seinen reichhaltigen Facetten alle Generationen anspricht. Möge er in Deutschland einen Verleiher finden, der es versteht, Vorurteile zu brechen und ihn angemessen im Kino einzusetzen. Der Film hat das Potenzial für ein großes Publikum.

Klaus-Dieter Felsmann

 

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