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Ausgabe 106-2/2006

"Es ist der persönlichste Film, den ich bisher geschrieben und gedreht habe"

Gespräch mit Niels Arden Oplev, Regisseur des Films "Drømmen" ("Der Traum")

(Interview zum Film DER TRAUM)

KJK: Zunächst einmal möchte ich Sie zu Ihrem beeindruckenden Film beglückwünschen, der bei seiner Weltpremiere im Zoo Palast mit einem grandiosen Applaus bedacht wurde. Sie sind aber nicht das erste Mal Gast bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin?
Niels Arden Oplev: "Nein, vor genau zehn Jahren lief mein erster Spielfilm, 'Portland', im großen Wettbewerb der Berlinale. Ein ziemlich harter, wilder Film über zwei kriminelle Brüder."

"Drømmen" läuft im Wettbewerb des Kinderfilmfestes. Es ist aber kein klassischer Kinderfilm, sondern eher ein Kindheitsfilm?
"Das ist richtig. Er ist ein Erwachsenenfilm, weil er den erwachsenen Blick hat auf das, was 1969 in dieser kleinen Schule dieser kleinen Stadt passiert. Die meisten Erwachsenen können sich mit dem Film identifizieren, weil sie ja alle mal zur Schule gegangen sind und dort erlebt haben, wie schlimm Lehrer sein können. Außerdem erfahren Erwachsene häufig Ungerechtigkeiten in ihrem Berufsleben und müssen sich Gedanken darüber machen, ob sie Widerstand leisten und dagegen aufstehen sollen."

Wie ist die Idee für diesen Film entstanden? Die Geschichte hat ja wahrscheinlich nicht direkt mit Ihren Schulerfahrungen zu tun, denn Sie sind 1969 erst acht und nicht 13 Jahre alt gewesen.
"Da täuschen Sie sich, das meiste von dem, was hier im Film geschieht, haben meine Freunde und ich selbst erlebt. Und zwar nicht 1969, sondern 1974."

1974 – das ist ja unglaublich!
"Erst 1967 wurde in Dänemark die Prügelstrafe per Gesetz abgeschafft. Draußen auf dem Land hat es dann noch einmal zehn Jahre gedauert, bis das Prügeln seitens der Lehrer verpönt war. So gab es den Schuldirektor tatsächlich. Ihm konnte und wollte sich niemand widersetzen. Ich hatte auch einen Lehrer, der für Freddie Svale als Vorbild diente. Er hieß Ole Lund Kirkegaard und wurde später einer der berühmtesten Kinderbuchautoren Dänemarks. Sein Buch 'Gummi-Tarzan' ist ja 1981 von Søren Kragh-Jacobsen verfilmt worden. Ole kam aufs platte Land nach Himmerland, wo ich mit meiner Familie lebte. Er kam an unsere Landschule und hat den Kindern die Augen geöffnet: So können auch Lehrer sein. Allerdings ist Ole nie auf den Schuldirektor getroffen, der leitete eine andere Schule. Wir versuchen natürlich mit dem Film auch zu erzählen, dass die 68er trotz ihres großen Eifers und des Willens zum Aufruhr auch schrecklich naiv waren und manchmal im Zusammenprall mit der Wirklichkeit einknickten, besonders mit Menschen wie Lindum Svendsen, die alle Machtmittel ausschöpfen, um ihre Position zu behalten."

Es ist selten in Filmen zu sehen, dass eine positiv eingeführte Lehrerfigur am Ende die eigenen Ideen verrät. Warum versagt Freddie?
"Das liegt schon einmal daran, dass Freddie ein Erwachsener ist. Während Kinder nur zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Schwarz und Weiß unterscheiden, gibt es bei den Erwachsenen eine ganz große Grauzone zwischen Weiß und Schwarz. So ist es auch bei dem jungen Lehrer. Er überlegt sich, ob er jetzt ein bisschen zurückstecken muss, um später den Kampf gegen überholte Lehrmethoden mit aller Kraft aufnehmen zu können. Diese Frage stellt sich für den Jungen gar nicht. Für ihn gibt es entweder Gerechtigkeit hier und jetzt oder gar keine. Uns lag viel daran zu zeigen, dass Frits der eigentliche Aufrührer, der eigentliche Revolutionär ist. Er gerät als kleiner Junge mit Beatles-Haar in den Konflikt und am Ende ist er Martin, ein kleiner Mann mit Irokesenschnitt. Er ist fast erwachsen geworden in dieser kurzen Zeit. Ich muss sagen, in diesen Film ist vieles von meinen eigenen Erlebnissen mit den Eltern, den Schulkameraden, der Schule eingeflossen, das ist unglaublich. Es ist wohl der persönlichste Film, den ich bisher geschrieben und gedreht habe."

Warum mussten diese Kindheitserlebnisse gerade jetzt heraus?
"Die ersten zwei Spielfilme waren sehr wilde Filme. Inzwischen bin ich älter geworden und fühle mich jetzt erwachsen genug, um eine sehr realistische Geschichte erzählen zu können. Eine realistische Geschichte mit sehr vielen Gefühlen."

War Martin Luther King auch Ihr Vorbild?
"Oh ja, in meiner Familie waren damals Martin Luther King, John F. Kennedy und Mahatma Gandhi die Helden! Nicht nur für mich, sondern für meine ganze Familie."

Frits, der vehement für die Gerechtigkeit kämpft, erringt aber zum Schluss nur einen halben Sieg. Lindum Svendsen wird nicht abgesetzt, sondern stirbt. Warum war Ihnen gerade dieser Schluss so wichtig?
"Mein Film handelt ja davon, dass ein Diktator gestürzt wird. Er will aber auch erzählen, dass solch ein Kampf nicht kostenfrei ist. Denn das, was Frits dafür bezahlen muss, ist enorm. Seine Mutter verliert die Arbeit, sein Vater wird wieder in die psychiatrische Anstalt eingeliefert und er selbst steht am Ende mit dem Gefühl da, einem anderen Menschen das Leben genommen zu haben. Deshalb kann er auch nur stumm zusehen, als die anderen Kinder über den Tod des bösen Direktors jubeln und die Flagge von Halb- auf Ganzmast ziehen. Für ihn ist es eben kein hundertprozentiger Sieg. Ganz und gar nicht."

Wie haben Sie Janus Dissing Rathke, der ja den Frits unglaublich intensiv spielt, gefunden?
"Es gibt in Dänemark eine ganz fantastische Frau, die Kinder castet: Jette Terman. Bei unserer ersten Sitzung zeigte sie mir ein Video von Janus, einfach um zu erfahren, in welche Richtung meine Vorstellungen gehen. Ich habe das Video gesehen und sofort gesagt: Das ist Frits. Allerdings hatten wir schon eine Anzeige in der Zeitung aufgegeben und konnten nicht mehr zurück. Also haben wir uns noch 500 Jungen angeschaut, um uns dann wieder für Janus zu entscheiden."

Haben Sie den Film auch in der Region gedreht, wo Sie aufgewachsen sind?
"Nein, wir haben die Aufnahmen auf der kleinen, wunderschönen Insel Æro, südlich von Fyn gemacht. Zweieinhalb Monate, mit der Vorbereitung sogar drei Monate, waren wir dort."

War es schwer, eine Produktionsfirma zu finden?
"Obwohl es ja ein sehr teurer Film ist, weil er in der Vergangenheit spielt, gab es von Anfang an nur Zustimmung. Alle wollten dabei sein, das Projekt finanzieren, weil sie an den Film geglaubt haben."

Wann wird der Film in Dänemark ins Kino kommen?
"Am 24. März. Er soll als Erwachsenenfilm eingesetzt werden, also im Abendprogramm laufen. Nach der Reaktion hier im Zoo Palast überlegen wir, ob bei der Werbung nicht besser die ganze Familie angesprochen werden soll. 'Drømmen' gibt Eltern die Chance, mit ihren pubertierenden Kindern ein gemeinsames Filmerlebnis zu haben und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. In dem Sinne ist es ein Familienfilm."

Das Gespräch zwischen Niels Arden Oplev und Barbara Felsmann wurde gedolmetscht von Drehbuchautor Steen Bille, der mit Oplev seit 22 Jahren eng zusammenarbeitet.

 

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