(Interview zum Film QUATSCH UND DIE NASENBÄRBANDE)
Veit Helmer wurde 1968 in Hannover geboren. Schon während seines Regiestudiums an der Hochschule für Fernsehen und Film München gründete er die Veit Helmer-Filmproduktion und drehte zunächst Kurzfilme. Mit "Tuvalu" gab der Drehbuchautor, Regisseur und Produzent 1999 sein Langspieldebüt. Helmers Filme wurden auf zahlreichen nationalen und internationalen Festivals präsentiert und ausgezeichnet. "Quatsch und die Nasenbärbande" ist sein erster Kinderfilm. Mit ihm wurde im Mai 2014 das Deutsche Kinder-Medien-Festival "Goldener Spatz" eröffnet.
KJK: Herr Helmer, was reizte Sie daran, nach so vielen Arbeiten für das erwachsene Publikum nun einen Kinderfilm zu inszenieren?
Veit Helmer:   Vor zwei Jahren wollte ich mit meinem damals vierjährigen Sohn ins Kino gehen und habe nach einem passenden Spielfilm gesucht. In den Kinos gab es aber nur Animationsfilme oder Literaturadaptionen für diese Altersgruppe zu sehen, das fand ich ein bisschen dürftig und so dachte ich: Na, dann mach ich doch selbst einen Film für ihn. Darin sollte all das vorkommen, was mein Sohn liebt: Feuerwehrautos, Kräne, Lokomotiven, Müllautos. Außerdem hat er zu der Zeit am liebsten Unfälle gespielt und wenn ich ihn in einen Bagger gesetzt habe, hat er davon geträumt, den selbst zu fahren. So stand schnell fest, dass die Kinder in meinem Film diese großen Maschinen selbst bewegen müssen. Ansonsten habe ich bei meinem Sohn festgestellt, dass Kinder in dem Alter assoziativ schauen und die Gedanken frei hin und her springen lassen. In der Art wollte ich den Film gestalten, ihn episodisch erzählen.
Es ist aber dann eine Geschichte entstanden.
Ja, denn für das ältere Publikum ist eine Geschichte schon wichtig. Ich suchte nach einem Grund, warum die Kinder ihre Eltern mit Schlaftabletten außer Gefecht setzen wollen und warum dann alles kaputt geht, damit daraus etwas Neues entstehen kann. Die Idee mit den ungewöhnlichen Erfindungen kam mir sehr schnell. Ich musste einen Grund finden, warum die Eltern das verhindern wollten. So fiel mir Haßloch ein, dieser schrecklich normale Ort in der Pfalz, wo die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) neue Produkte testet, weil dort die Bevölkerung – laut Statistik – dem deutschen Durchschnitt sehr nahe kommt. Wenn also neuartige Artikel in Haßloch gekauft werden, werden sie nach der Testphase in ganz Deutschland in die Supermärkte gestellt. Alle Haßlocher werden von der GfK wie gläserneMenschen überwacht. Das meiste von dem, was in meinem Film als absolut absurd daherkommt, sind in Haßloch ganz reale Vorgänge.
Hatten Sie daran gedacht, Ihren Film auch in Haßloch zu drehen?
Ich wollte nie in Haßloch drehen, sondern ich wollte ein Dorf konstruieren, das so schön und zeitlos ist wie Bullerbü. Wir sind wochenlang durch ganz Brandenburg gefahren, um dann festzustellen, dass es dort, wo ich die Wochenenden verbringe, nämlich in Buckow in der Märkischen Schweiz, eigentlich am schönsten ist. In Buckow ist sehr viel Leben und es sieht hier nicht so aus wie in typischen Brandenburger Ortschaften. Das Städtchen könnte irgendwo in Europa sein. Außerdem war mir klar, dass ich solch einen kleinen Dampfer wie die "Scherri" oder die Museumseisenbahn nirgendwo mehr finden würde. Bollersdorf, so wie der Ort im Film heißt, ist ein Nachbardorf von Buckow. Dort haben wir nichts gedreht, aber der Name klingt so schön und außerdem habe ich so den Buckowern gezeigt, dass sie nicht mit den dargestellten Erwachsenen gemeint sind.
Hatten Sie bei der Arbeit für diesen Film eine bestimmte Zielgruppe im Blick?
Ich hatte ein klares Zielpublikum vor Augen, weil der Film in erster Linie meinem Sohn gefallen sollte. Aber ich wollte trotzdem einen Film machen, der alle Altersgruppen anspricht. Ich habe mich dabei an Tati erinnert. Die Arbeiten von Tati oder auch Chaplin sind in der Regel Filme für Erwachsene, die Kinder auch lieben. Daran wollte ich mich orientieren. Anfangs hatte ich sogar die Idee, "Quatsch" in zwei Varianten zu schneiden: eine Fassung von 90 Minuten für Erwachsene und eine 70-minütige für Kinder. Das ist unter heutigen Verleihbedingungen nicht zu machen. Aber ich wünsche mir, dass der Film auch in Abendvorstellungen läuft.
In Ihrem Film geschehen ja eine Menge an Unfällen und Crashs. Gab es da Sorgen seitens der beteiligten Fernsehsender oder der Förderer, dass junge Zuschauer so etwas vielleicht nachahmen könnten? Oder hatten Sie selbst Bedenken?
Ich hatte nie Sorgen, dass Kinder irgendetwas, was im Film gezeigt wird, nachmachen. Mein Sohn kann sehr gut unterscheiden zwischen Fiktion und Realität und er hat natürliche Ängste, beispielsweise auf einen Kran zu klettern. Kinder wissen, dass sie nicht mit einem Regenschirm vom Balkon springen dürfen. Kinder haben eine natürliche Angst. Dass erwachsene Zuschauer zum Teil empört sind, weil Kinder in meinem Film aufs Gaspedal treten, ist mir unverständlich. Man bedenke nur einmal, welch gefährliche Aktionen Pippi Langstrumpf in den Filmen von Olle Hellbom vor über 40 Jahren unternommen hat, ohne dass jemals ein Kind versucht hat, auf einem Zugdach zu tanzen. Ich denke, man muss Kindern sagen, wo Gefahren lauern, aber in Filmen muss man Träume zeigen können. Ich glaube sogar, dass es wichtig ist, weil es wie ein Katalysator wirkt. Ich habe allerdings darauf geachtet, dass diese Unfälle auf keinen Fall traumatisierend wirken. Auf jeden Unfall kommt ein Schnitt mit lachenden Kindern. Das allein ist ja schon totaler Quatsch, das Müllauto kippt um und die Kinder springen freudeschreiend aus dem Führerhaus. Also wer das nicht abstrahieren kann, dem ist nicht zu helfen. Wobei ich als Regisseur allerdings feststellen muss, dass die Wirkung im Kino eine bedrohlichere ist als die auf dem kleinen Monitor. Aber das Korrektiv im Kino ist dann wiederum das gemeinsame Erlebnis von vielen, wo ein kleines Kind an der Reaktion der älteren Kinder im Publikum merkt, dass ja alles nur Spaß und Quatsch ist. Und damit all die Unfälle nicht beängstigend wirken, war auch eine gewisse Verfremdung gut.
In der Postproduktion wurden die Aufnahmen durch die Vertonung, die Bildbearbeitung oder die Farben grotesker und auch künstlicher dargestellt und ihnen eine Märchenhaftigkeit verliehen. Es gab aber trotzdem noch bei der Feinschnittabnahme Diskussionen mit Redakteuren wegen bestimmter Szenen, weil man Sorgen hatte, ob der Film eine FSK 0 bekommt. Ich habe aber gesagt: Bevor wir selber die Schere anlegen, können wir ja den Film der FSK zeigen und schauen, was passiert. Und dann hat die FSK die Freigabe ab 0 gegeben. Den einzigen Kompromiss, den ich eingegangen bin, ist der, dass ich auf Wunsch der Fernsehsender im Abspann Bilder gezeigt habe, die zeigen, dass die Kinder nie auf einem Kran waren, sondern in einem Filmstudio vor Greenscreen. Oder dass die Kinder das Feuerwehrauto nicht selbst fahren, sondern dass es abgeschleppt wurde.
Wie war das überhaupt mit der Förderung? War es schwierig, Fördergelder für das Projekt zu bekommen?
Wenn jemand wirklich einen Film machen will und für sein Projekt brennt, kann den keiner stoppen. Allerdings bedeutet bei uns "Film für kleine Kinder" auch kleines Geld. Ich habe "Quatsch" mit 1,4 Millionen Euro produziert. Wenn man diesen Film normal kalkuliert, würde er drei bis vier Millionen kosten. Dementsprechend niedrig waren die Gagen der Leute, die zum Teil ein halbes Jahr dafür gearbeitet haben. Bei kleinen Budgets gehe ich dann so vor, dass ich das Geld, das mir zur Verfügung steht, durch alle Mitwirkenden teile. Dann bekommt manchmal ein Fahrer genauso viel wie der Szenenbildner oder der Kameramann und der deutsche Filmpreisträger verdient genauso viel wie der Absolvent von der Filmhochschule. Aber letztendlich ist das kein Wirtschaftsmodell, sondern eher Liebhaberei.
Höhere Kosten entstehen ja allein schon durch die aufwändigen und zeitlich begrenzten Drehs mit Kindern. Wie lange haben Sie gedreht?
Wir hatten 54 Drehtage. Und da sind wir schon bei einem gravierenden Problem, das Kinderfilme so teuer macht. Man kann die halt nicht mit 20 Drehtagen wie beim "Tatort" realisieren, man braucht mehr Drehzeit. Deshalb wollten mich auch meine Redakteure dazu drängen, in bester Absicht, ältere Kinder zu besetzen. Aus ihren Erfahrungen war ein Film mit so jungen Hauptdarstellern nicht möglich, denn mit vier Jahren darf man nur zwei Stunden drehen, während sie mit sechs Jahren bereits drei Stunden am Tag drehen und fünf Stunden am Set sein dürfen. Für mich war das junge Alter der Kinder aber eine Grundbedingung, da ältere Kinder diese Unreflektiertheit verlieren, sie sind dann schon bedachter. Vierjährige rennen einfach los, ohne zu überlegen, und das hat eine unvergleichliche Komik. Da hat der Regisseur in mir also zu dem Produzenten in mir gesagt: Das musst du hinkriegen! Deshalb habe ich von vornherein das Buch auch schon so geschrieben, zum Beispiel den Nasenbären eingebaut, damit ich nachmittags noch Drehpensum ohne die Kinderdarsteller hatte. Wir haben ohnehin schon vom Landesamt für Arbeitsschutz das großzügige Recht bekommen, mit jedem Kind 35 Tage zu drehen anstatt 30, wie es das Gesetz vorsieht, und wir durften Split-Tage machen. Das dürfen normalerweise auch nur Kinder ab sechs. Das heißt, wir durften mit den Kindern morgens eine Stunde und nachmittags eine Stunde drehen, um zwischendurch vieles vorbereiten und aufbauen zu können. Ansonsten wäre dieser Film so nicht zu realisieren gewesen.
Das heißt, wie alt waren die Kinderdarsteller letztendlich?
Wir haben Kinder von drei bis sechs Jahren gecastet, aber alle meine Kinder waren dann vier Jahre alt.
Wie haben Sie die Kinder gefunden?
Ich habe mich acht Monate vor Drehbeginn entschieden, als die Finanzierung noch nicht stand, mit dem Casting zu beginnen, weil ich wusste, mit den Kindern steht und fällt der Film. Es wurden bereits November 2012 von vier Assistenten 20.000 Flyer in Berliner und Brandenburger Kindergärten ausgelegt. Daraufhin haben sich über tausend Eltern gemeldet, die mit ihren Kindern zum Casting gekommen sind. Dort haben wir die Kinder in einen extra Raum gebeten und Übungen mit ihnen gemacht. Zum Beispiel sollten sie einen Teller vom Tisch wischen und sagen: Ich will keinen Spinat! Dazu waren viele Kinder gar nicht in der Lage, so etwas Freches zu machen. Mit den Kindern, die sich trauten, haben wir dann Gruppencastings durchgeführt, denn es ging mir ja nicht um das Casting von einzelnen Kindercharakteren, sondern um das Casting eines Kinderensembles. Und da sind viele Kinder, die sich nicht integrieren konnten, ausgeschieden. Im April 2013 hatte ich dann 20 Kinder, bei denen ich gedacht habe, dass es was werden könnte. Mit ihnen habe ich zwei Monate lang jedes Wochenende Tanzübungen gemacht. Mir war wichtig, dass keine Szene vor dem Dreh geprobt wird. Denn jede Szene musste von den Kindern frisch erlebt und konnte von der Kamera nur einmal gefilmt werden. Deshalb wussten die Kinder zum Teil gar nicht, worum es eigentlich geht. Für sie war das Casting der komische Tanzunterricht, wo man immer lustige Sachen machen musste. Und das war natürlich extrem wichtig, dass sich der Spaß auch beim Dreh fortsetzte. Denn unsere größte Angst war, dass ein Kind nach der Hälfte der Drehzeit sagt, ich habe keine Lust mehr.
So war es auch eine gute Fügung, dass ich mich von digitaler Technik habe überzeugen lassen. Dadurch konnten wir bei den Aufnahmen mit den Kindern die Kamera ohne weiteres mal eine Stunde laufen lassen. Schließlich weiß man nie, wann der besondere Blick, der besondere Augenblick, der magische Moment kommt. Hätten wir mit Filmmaterial gedreht, hätten wir das nur mit einem Vielfachen des Budgets machen können.
Wie haben Sie die Dialoge mit den Vierjährigen eingeübt?
Schon beim Drehbuchschreiben mit Hanns-Ullrich Krause, der Drehbuchautor und zugleich Leiter eines Kinderheims in Berlin ist, war uns klar, dass wir den Kindern keine Dialoge schreiben können. Deswegen haben wir das Meiste, was die Kinder sagen, ins Off gelegt, was ja auch was poetisch Nostalgisches hat. Bei den Dreharbeiten waren wir dann aber sehr erstaunt, dass die Kinder – vielleicht inspiriert durch die erwachsenen Schauspieler – ab und zu in einen Dialog getreten sind. Das war überhaupt nicht geplant, wurde aber zum Glück von der Kamera gefilmt. Da kamen Sätze, die man weder proben noch inszenieren kann. Zum Beispiel wenn der kleine Pieter Budak sagt: „Wir sind die Nasenbärbande! Und zwar so! Aus und basta!“ Das sind die Geschenke, die einem der liebe Gott macht. Ansonsten habe ich den Kindern die wenigen Sätze, die es gibt, in dem entsprechenden Timbre vorgesprochen und sie haben das dann wiederholt. Doch die schönsten Sätze waren die, welche die Kinder von sich aus gesagt haben. Also es war schon eine Sensation, solch junge Kinder vor der Kamera zu haben.
Die Kamera hat Felix Leiberg geführt, der damit zum ersten Mal an einem Langspielfilm beteiligt war. Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
Ich kenne Felix seit Jahren und wollte schon immer gern mit ihm zusammenarbeiten, aber bei meinem letzten Film "Baikonur" brauchte ich jemanden, der russisch spricht. Jetzt hat es gepasst. Für unser Team waren wir eine explosive Mischung, weil wir so viele Ideen entwickelten, dass wir teilweise zwölf, dreizehn Stunden gedreht haben. Manchmal hatte das Team Schwierigkeiten, unserem Tempo zu folgen. Felix hat an seine Arbeit höchste Ansprüche gestellt und ich kam zum ersten Mal in meinem Leben in die Rolle, dass ich sagen musste: Stopp, diese Einstellung können wir nicht mehr drehen. Es ist ein schöner Einfall, aber wenn wir heute Abend um zehn nicht aufhören zu arbeiten, schaffen wir es nicht, morgen wieder um neun am Set sein! Felix ist von Anfang an mit soviel Leidenschaft bei diesem Projekt gewesen, das war wirklich ein Glücksfall für mich.
Mit Veit Helmer sprach Barbara Felsmann in Buckow
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