Zum Inhalt springen

Ausgabe 126-2/2011

AUF LEISEN PFOTEN

A PAS DE LOUP

Produktion: Ring Prod / Les Films d’Antoine; Belgien / Frankreich 2011 – Regie: Olivier Ringer – Buch: Yves Ringer, Olivier Ringer – Kamera und Schnitt: Olivier Ringer – Musik: Bruno Alexiu – Darsteller: Wynona Ringer (Mädchen), Olivier Ringer (Vater), Macha Ringer (Mutter), Ursula Noyer (Nachbarin), Pierre Leroux (Bauer) – Länge: 77 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Delphis Films, distribution@delphisfilms.com – Altersempfehlung: ab 8 J.

Mit dieser belgisch-französischen Koproduktion von Regisseur, Drehbuchautor und Kameramann Olivier Ringer wurde bei Generation Kplus in diesem Jahr eine kleine Kostbarkeit für die ganze Familie präsentiert: für Kinder ab etwa acht Jahre, für deren Eltern und deren Großeltern. "Er kann auf zwei Ebenen gelesen werden", meint Olivier Ringer zu seinem Film, in dem das sechsjährige Mädchen Cathy, überzeugend dargestellt von seiner wunderbaren, eigensinnigen Tochter Wynona, in einem langen Monolog eine Geschichte für Kinder, ebenso aber auch eine Geschichte für Erwachsene erzählt.

Cathy, ein Einzelkind aus einer wohlhabenden Pariser Familie, kann gut beobachten und kennt ihre Eltern ganz genau. Sie weiß immer schon im Voraus, was Mutter und Vater tun werden, denn es ist jedes Wochenende das Gleiche: Freitagabend werden die Taschen gepackt, wird ins Auto gestiegen, aufs Land gefahren. Cathy fährt nur mit, weil sie – wie sie sagt – keine andere Wahl hat und weil die Eltern meinen, es wäre gut für sie. Im Dunkeln kommen sie dann an, Cathy muss gleich ins Bett, allein und ohne Gute-Nacht-Kuss, am nächsten Morgen ist die Mutter schon auf dem Markt, während das Mädchen – wieder allein – frühstückt. Cathy weiß auch immer im Voraus, was die Eltern sagen werden, denn auch das ist jedes Mal das Gleiche und nur das Notwendigste. Selbst zum Essen wird nicht gerufen oder eingeladen, sondern lediglich mit einer kleinen Glocke geläutet. Dass die Eltern mit ihrem Kind spielen, es mal abkitzeln, mit ihm toben oder danach fragen, was es am Tag erlebt hat, geschweige denn, was es gern möchte, kennt Cathy nicht. Und so ist sie sich ziemlich sicher, dass sie für die Eltern gar nicht existiert, dass sie für sie unsichtbar ist. Doch an diesem Sonntagabend, wenn Vater und Mutter mit ihr nach Paris zurückfahren wollen, wird Cathy sie auf die Probe stellen. Sie bleibt einfach neben dem Auto stehen und steigt nicht ein. Mal sehen, ob es die Eltern merken. Und ...  sie merken es nicht. Sie fahren los. Ohne ihre Tochter.

Für Cathy beginnt indes das größte Abenteuer ihres Lebens. Nun kann sie sich in Ruhe um die magischen Samen kümmern, die ihr der Bauer aus der Nachbarschaft geschenkt hat und die der Vater beinahe mit seinem Rasenmäher zerstört hätte. Sie muss nicht mehr darauf achten, dass ihr Kleid nicht schmutzig wird, sondern kann auf Entdeckungsreise gehen. Unbekümmert und völlig angstfrei durchstreift sie den Wald, beobachtet die Tiere, rettet einen Igel auf der Straße, fängt sich einen Fisch und lässt ihn im Blecheimer schwimmen, baut einen Unterstand gegen den Regen, freundet sich mit einem vermeintlichen Wolf an, schläft nachts in der Hundehütte und lauscht den ungewohnten Geräuschen der Natur. Wenn der Vater nach ihr sucht, versteckt sie sich jedes Mal. Vielleicht aus Angst, aber auch deshalb, weil sie die Eltern nicht versteht: "Wenn ich da bin, sehen sie mich nicht, wenn ich nicht da bin, suchen sie nach mir. Wenn sie mich gefunden haben, schimpfen sie. Und dann sehen sie mich wieder nicht." Außerdem gibt es noch so viel zu erleben in der freien Natur, bis ein roter Faden im Wald Vater und Tochter wieder zusammenbringt.

"Auf leisen Pfoten" ist ein sehr persönlicher Film, an dessen Gelingen die gesamte Familie Ringer einschließlich des (inzwischen verstorbenen) Hundes Ourga beteiligt war. Er fasziniert durch die ästhetisch hervorragenden Aufnahmen, besonders durch die bezaubernden Naturbilder, aber auch durch den genau durchgearbeiteten Monolog des Mädchens, das kritisch seine Eltern betrachtet. Für Kinder werden vornehmlich die Abenteuer interessant sein, die die Sechsjährige in der Natur erlebt, und es wird ihnen ein Riesenvergnügen bereiten, zusammen mit diesem starken Mädchen den Wald zu erkunden. Die Erwachsenen dagegen bekommen einigen Stoff, um einmal über das Verhältnis zu ihren Kindern nachzudenken. Gedankenlosigkeit, Unachtsamkeit und Gleichgültigkeit gegenüber Kindern – das kommt in den besten Familien vor. Dabei sind die Eltern keineswegs böswillig, sondern einfach zu sehr mit sich und dem Geldverdienen beschäftigt. Wie sich das auf die Seele eines Kindes auswirkt, ist hier neben all den Abenteuern auch Thema. Allerdings geschieht das ohne erhobenen Zeigefinger. So findet denn Olivier Ringer für seinen Film einen offenen Schluss, bei dem sich niemand mehr sicher sein kann, ob das Erlebte kindliche Phantasie oder Wirklichkeit war.

Barbara Felsmann

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 128-2/2011 - Hintergrund - AUF LEISEN PFOTEN

 

Permalink für Verlinkungen zu dieser Seite Dauerhafter, direkter Link zu diesem Beitrag


Ergebnis der Suche nach "felsmann"

 

Keine Mauerspechte, aber Brückenbauer| ONE WAY, A TUAREG JOURNEY| Zur 100. Ausgabe| 3 DAYS OF CINEMA| 7 ODER WARUM ICH AUF DER WELT BIN| Achvlediani, Nino - "Ich möchte, dass die Kinder noch von einer besseren Welt träumen können"| Agthe, Arend - „Beim Kinderfilm ist jeder Konflikt, der erzählt wird, existenziell“| Albers, Margret - "Man muss Kinderfilme mehr als Filme sehen ..."| Albers, Margret - "Wir haben die seltene Chance, Fachleute und Adressaten zusammenzuführen"| ALS GROSSVATER RITA HAYWORTH LIEBTE| AM HIMMEL DER TAG| DAS ANDERE UFER| AUF LEISEN PFOTEN| DAS AUGE DES ADLERS| Báez, Irina Gallardo - "Hannelore wollte, dass ich die Isabel spiele, und nicht, dass ich die Isabel bin."| BEAUTY AND THE BASTARD| BIN ICH SEXY?| BIS AUFS BLUT – BRÜDER AUF BEWÄHRUNG| BLÖDE MÜTZE!| BONHOEFFER – DIE LETZTE STUFE| BRAN NUE DAE| Burckner, Clara - "Für einen Kinderfilm muss außergewöhnlich intensive Verleiharbeit geleistet werden"| Busker, Martin - "Warum dürfen Kinder im Kino nicht weinen?"| CAPTURING DAD| COMRADES IN DREAMS – LEINWANDFIEBER| DANNYS MUTPROBE| EINSCHNITTE| DIE FARBE DER MILCH| DER FLUG DES ALBATROS| FREMDE HAUT| FREMDER FREUND| FROHE ZUKUNFT| DIE PROPHEZEIUNG DER FRÖSCHE / DAS GEHEIMNIS DER FRÖSCHE| DIE GESCHICHTE VON RICHARD, MYLORD UND EINEM WUNDERBAREN FEUERVOGEL| GILLES| Grünberg, Cornelia - "Man kann nicht erwarten, dass die Fördergelder möglichst schnell zurückfließen"| Grünberg, Cornelia und Heiko Merten - Rückwärts ist kein Weg – Schwanger mit 14| Haase, Jürgen - "Der Kinderfilm hat ein weltweites Publikum, und von daher gibt es auch einen weltweiten Bedarf"| Hailer, Thomas - "Das Land Eden für den Kinderfilm gibt es nicht"| HALBE PORTIONEN| Helmer, Veit - Ein Geschenk für den Sohn| HILFE, ICH BIN EIN JUNGE!| DER HIMMEL FÄLLT| I KNOW YOU KNOW| IM GULLY| INKLUSION – GEMEINSAM ANDERS| DAS INTERNAT| IRGENDWO IN BERLIN| IRIS| ISKAS REISE| DER ITALIENER| KAUWBOY| Keil, Klaus - "Wir geben mehr als Geld"| Kendall, Nicholas - "In die Historie bin ich gegangen, weil ich vor solchem Hintergrund die Charaktere besser herausarbeiten konnte"| KINDERFILM IN EUROPA| DER KLEINE VOGELNARR| König, Inge - Kinderfilm GbmH – eine neue Produktionsfirma in Erfurt| Kozik, Christa - "Kinder brauchen leise humanistische und poetische Botschaften"| Kravchuk, Andrei - "Jeder muss sich für sein Leben verantwortlich fühlen und dafür etwas tun"| DIE LETZTE IHRER FAMILIE| LIEBE, LÜGEN UND GEHEIMNISSE| LÖCHERKÄSE AUS BETON| LOLLIPOP MONSTER| LOST HEAVEN| LOVITOR| Lowenthal, Mark - "Ich habe einfach nach einem wahrhaftigen Ende gesucht"| MADE IN GDR| MADELIEF – DAS ZEICHEN AUF DEM TISCH| DAS MÄDCHEN| DAS MÄDCHEN IN DEN TURNSCHUHEN| MAGNIFICO| Malberti, Juan Carlos Cremata - "Ich kann keine Lösung eines Problems anbieten, das nicht zu lösen ist"| MANOLITO, DIE BRILLENSCHLANGE| MASOUMEH UND DER SCHNURRBART| MAX PEINLICH| MIA UND DER MINOTAURUS| DER MISTKERL| Müntefering, Gert K. - "Wir haben so etwas wie eine neue Sachlichkeit für Kinder eingeführt"| MUKHSIN UND ICH| Olofson, Christina - "Es geht um Probleme in einer Mädchengruppe, aber es wird insgesamt ein Lebensgefühl vermittelt, das Jungen genauso interessiert"| Oplev. Niels Arden - "Es ist der persönlichste Film, den ich bisher geschrieben und gedreht habe"| DAS PFERD AUF DEM BALKON| PINGPONG| PLATZANGST| POLLEKE| POPULÄRMUSIK AUS VITTULA| DIE PUSTEBLUMEN| QUATSCH UND DIE NASENBÄRBANDE| Redpath, Maryanne und Florian Weghorn - Alles auf Augenhöhe| RENN, WENN DU KANNST| RICO, OSKAR UND DIE TIEFERSCHATTEN| Rosenbaum, Uwe - "Es geht darum, Mittel und Ideen zu konzentrieren"| Rosenbaum, Uwe - Mit wenigen Mitteln viel erreicht| DER ROTE ELVIS| DER ROTE KAKADU| RÜCKBLICK - EINBLICK - AUSBLICK| Sahling, Bernd - "Sie hat die Gabe, Brücken zu schlagen ..."| SATELLITE BOY| Schindler, Christina - "Das übergeordnete Thema in meinen Filmen ist immer das Verhältnis von Fiktion und Realität"| Schleinstein, Frank - "Eigentlich bist du verrückt, einen Film zu drehen, der völlig gegen den Strich geht"| Schmidt, Manfred - "Wenn es ein gesellschaftlicher Wunsch ist, dass Kinder sich mit Filmen auseinander setzen, dann müssen wir dafür auch etwas tun"| SCHULD SIND IMMER DIE ANDEREN| DIE SEEKÖNIGIN| SKELLIG| Svarcova, Iva - "Mich interessieren einfache Menschen, die sehr viel bewegen können"| THE BLACK BALLOON| THE MIGHTY CELT| THE WORD| EIN TICK ANDERS| DER TRAUM| TROMMELBAUCH| Ungureit, Dagmar - "Mit offenem Blick den Märchen neu annähern"| DER VERZAUBERTE EINBRECHER| VIVA CUBA| VOM ABSCHIEDNEHMEN UND TRAURIGSEIN| WAS AM ENDE ZÄHLT| WER, WENN NICHT WIR| WIE DURCH DUNKLES GLAS| Wiedemann, Dieter - Studiengang für Kinderfilm und Kinderfernsehen an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg geplant| Wild, Anne - Den Kindern ihr Märchen geben| WO DER ELEFANT SITZT| WORLDS APART| Zylla. Renate - 19 Jahre KinderFilmFest Berlin|


KJK-Ausgabe 126/2011

PDF-Download Originalausgabe (PDF)

 

Anzeigen:

Einzelne Ausgaben:

Filmtitel nach Alphabet:

Zusatzmaterialien:

Volltext-Suche:

 

 


Sonderausgaben bestellen!