Produktion: Happy End Filmproduktions AB / AB Svensk Filmindustri / Solar Films; Schweden / Finnland 2004 – Regie: Reza Bagher – Drehbuch: Reza Bagher, Eric Norberg, nach einem Roman von Mikael Niemi – Kamera: Robert Nordström – Schnitt: Fredrik Morheden, Anders Refn – Darsteller: Max Enderfors (Matti mit 15), Andreas Af Enehielm (Niila mit 15), Niklas Ulfvarson (Matti mit 7), Tommy Vallikari (Niila mit 7), Göran Forsmark (Birger), Jarmo Mäkinen (Isak), Björn Kjellman (Greger) u. a. – Länge 105 Min. – Weltvertrieb: AB Svensk Filmindustri, Stockholm, e-mail: international@sf.se – Altersempfehlung: ab 14 J.
Heute wird viel gerätselt, welche historische Rolle wohl den sogenannten "68ern" zukommen mag. Ein diesbezüglich abschließendes Urteil wird noch länger auf sich warten lassen, doch eines steht bereits fest, in den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden grundlegende kulturelle und soziale Umbrüche vollzogen, die für das heutige gesellschaftliche Dasein von ganz zentraler Bedeutung sind und für die die "68er" mehr als nur ein Symbol darstellen. Die bis dahin relativ kleinteilig in regionalen und familiären Strukturen organisierte Gesellschaft öffnete sich. Religiöse und ideologische Orientierungen verloren ihre Bindungskraft und technische Entwicklungen brachen räumliche und zeitliche Abgrenzungen auf.
Die damit verbundene Entwicklung eröffnete bisher nicht gekannte individuelle Lebenschancen, sorgte aber gleichzeitig für eine weit verbreitete Orientierungslosigkeit und einen Verlust allgemeingültiger Werte. Inzwischen scheint der vor 40 Jahren eingeleitete Prozess in Form der allgemeinen "Globalisierung" einen gewissen Sättigungspunkt erreicht zu haben. Es ist die Zeit der Bilanzen gekommen, die nach Erreichtem, aber auch nach Verlorenem fragen.
Als ein solches Resümee ist auch der Roman "Popular Music" von Mikael Niemi zu verstehen, der sich nicht nur in Schweden großer Beliebtheit erfreut. Bereits im Titel wird auf ein weiteres wesentliches Symbol des Aufbruchs der 60er-Jahre verwiesen. Die Rock'n Roll-Musik gab den Umbrüchen der Zeit den alles bestimmenden Sound. Elektronisch verstärkte Gitarrenklänge fegten den angesammelten Mief eines kleinbürgerlichen Jahrhunderts aus den Stuben und sie lockten die Jugend mit einer bis dato nie gekannten Mobilität aus den Dörfern und Kleinstädten. Für den, der diese Zeit bewusst erlebt hat, braucht es keine Worte, um die damit verbundenen Gefühle wach zu rufen. Die Signale der Musik reichen dafür völlig aus.
Wenn der iranischstämmige Regisseur Reza Bagher nunmehr Niemis Roman für die Leinwand adaptiert hat, so bedient er sich dabei einer kräftigen visuellen Sprache. In einem beeindruckend gefilmten Hochgebirgsmassiv nimmt der gealterte Matti Abschied von seinem verstorbenen Jugendfreund Niila. Dabei gerät er in eine lebensbedrohliche Situation, während der er sich an den gemeinsamen Aufbruch in einem Dorf nördlich des Polarkreises vor 40 Jahren erinnert. Auch für die einst geschlossene Welt im nördlichen Schweden an der Grenze zu Finnland findet Bagher sehr aussagekräftige Bilder. Dabei zeichnet er ein tragikomisches Sittengemälde des Dorfes Vittula, das geradezu modellhaft den statischen Zustand der damaligen Gesellschaft abbildet. Niila leidet unter einem tyrannischen Vater, der in seinem Haus ein kaltes und lebensfeindliches Regime errichtet hat. Matti erfreut sich zwar zu Hause einer herzlichen Atmosphäre, die schlägt jedoch oft in exzessive Feiern um, die nicht nur wegen des maßlosen Alkoholgenusses eine allgemeine seelische Leere oberflächlich kaschieren. Politische und religiöse Meinungsverschiedenheiten werden zwar leidenschaftlich ausgetragen, doch letztlich erscheinen alle Glaubensansätze ziellos und mehr oder weniger selbstzweckhaft.
Matti und Niila drängt es aus dieser engen Lebenswelt hinaus. Als im Dorf eine erste Teerstraße entsteht, erscheint die den kleinen Jungen wie ein Wegweiser. Mehr noch als die Straße wird aber die Rock-Musik, die der junge Musiklehrer Greger in die Einöde bringt, zum Kompass für eine künftige Entwicklung. Matti und Niila gründen eine Band. Die Musik, die sie nun spielen, wirkt wie eine große Befreiung. Währenddessen sich für Niila dadurch die Distanz zu seinem Elternhaus immer stärker vergrößert, genießt Matti zunehmend Ansehen, das er mit der Musik sowohl bei seiner Familie als auch bei den Mädchen gewinnt. Als schließlich Niilas Bruder sich mit körperlicher Gewalt gegenüber dem Vater wehrt, aber nichts weiter bewirkt, als dessen Rolle zu übernehmen, ist für den Jungen klar, dass er aus Vittula ausbrechen muss. Er folgt dem Ruf der Weltmusik.
40 Jahre später kann sich Matti schließlich aus seiner bedrohlichen Situation auf dem Gebirgsgipfel befreien. Nunmehr nimmt er endgültig Abschied von seinem Freund. Der einstige Bruch mit der Tradition erscheint auch im Nachhinein als folgerichtig und notwendig. Dennoch macht die Einsamkeit des Abschieds auch einen großen Verlust deutlich. Das Nachdenken über mögliche Defizite bleibt dem Zuschauer überlassen. War das Leben nicht in gewisser Weise auch reicher mit mehr Rückhalt innerhalb einer großen Familie, fehlt es nicht an unverwechselbaren Charakteren, die einer Idee bis hin zur Schrulligkeit anhängen, oder braucht es nicht einer festeren lokalen Verortung des Daseins?
Der Film erzählt eine Jugendgeschichte. Doch er erzählt sie aus der Perspektive des auf der Grundlage von gelebten Erfahrungen Zurückblickenden. Entsprechend scheint auch eher bei diesen die Zielgruppe der "Populärmusik aus Vittula" zu suchen sein. Für heutige Jugendliche beginnen die Fragen genau dort, wo der gealterte Held Bilanz zieht. Dessen Leben kann nur bedingt als Modell für die eigene Suche dienen. Ein neuer Aufbruch scheint notwendig zu sein. Doch noch fehlt die entsprechende Musik.
Klaus-Dieter Felsmann
POPULÄRMUSIK AUS VITTULA im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.
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