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Ausgabe 69-1/1997

"Wir haben die seltene Chance, Fachleute und Adressaten zusammenzuführen"

Gespräch mit Margret Albers, neue Geschäftsführerin der Stiftung GOLDENER SPATZ

Interview

KJK: Margret Albers, in der Pressemitteilung anlässlich Ihrer Berufung zur Geschäftsführerin der Stiftung GOLDENER SPATZ heißt es, Sie seien 28 Jahre jung und Absolventin der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg. In verschiedenen Veröffentlichungen der jüngeren Zeit werden Sie als "Horrorexpertin" vorgestellt. Die deutsche Kinderfilmszene ist etwas verunsichert. In wessen Hand liegt da plötzlich das Schicksal des Nationalen Kinder-Film&Fernseh-Festivals in Gera?
Margret Albers: "Ich komme aus einem ganz kleinen Nest an der Nordseeküste. Es liegt am Ufer der Wesermündung gegenüber von Bremerhaven. Mein Interesse galt zunächst der Literatur. So studierte ich in Göttingen Germanistik und Anglistik. Während des Studiums entdeckte ich meine Liebe zum Film. Das war zunächst allerdings außerhalb der von mir besuchten Seminare. Im Bereich der Literaturwissenschaft der altehrwürdigen Georgia-Augusta-Universität galt der Film noch immer als viel zu junges Medium, als dass man sich ernsthaft damit befasste. Erst als ich ein Jahresstipendium für die USA bekam, eröffnete sich mir ein ganz anderer Blick. Ich besuchte Seminare zur Filmgeschichte, so zum deutschen Kino der 20er-Jahre, oder zum asiatischen Avantgardefilm. Oder es gab Vorlesungen zur Filmanalyse. Dort hat man gelernt, mal ganz genau hinzusehen. Das fand ich faszinierend. Ich habe bald gedacht, da steckt soviel drin, das möchte ich nach meiner Rückkehr weiter betreiben.
Doch in Deutschland war das diesbezügliche Angebot gar nicht so üppig. Mir half die Gunst der Stunde, dass in Babelsberg ein Studiengang Medienwissenschaft aufgemacht wurde. Nachdem ich zunächst mein Studium in Göttingen noch abschließen konnte, gehörte ich 1993 zum ersten Jahrgang, der in Potsdam-Babelsberg unter Prof. Wiedemann in das dortige neue Fach einstieg. Es begann für mich eine sehr interessante Zeit. Das Studium war sehr praxisorientiert. Wir hatten die Möglichkeit, an zahlreichen konkreten Projekten zu arbeiten. Für mich waren eine Tagung und die daraus folgenden Publikationen unter dem Titel 'Zwischen Bluejeans und Blauhemd' besonders wichtig. Es ging hier um Jugendfilme aus Ost und West, die von der Thematik und von der Zeit her Berührungspunkte hatten, und die miteinander verglichen wurden. Ich befasste mich mit Hark Bohms 'Nordsee ist Mordsee' bzw. Herrmann Zschoches 'Insel der Schwäne'. Als eine Gemeinsamkeit bin ich da u. a. auf bestimmte Westernelemente gestoßen."

Wie sind Sie bei diesem Entwicklungsweg aber zur "Horrorexpertin" geworden?
"Der Begriff als solcher ist natürlich albern. Allerdings hatte ich mich bereits in den USA auch mit populären Formen des Films beschäftigt. Warum tut die Wissenschaft oftmals etwas sehr schnell als trivial ab, was doch für einen Großteil der Leute außerordentlich reizvoll ist. Der Horrorfilm ist so übel beleumundet und dennoch zieht er die Leute heftig in seinen Bann. Dieses Spannungsverhältnis hat mich interessiert. Meine Abschlussarbeit in Babelsberg beschäftigte sich mit diesem Thema. Dabei blieb es dann gar nicht aus, dass ich mich mit den spezifischen Rezeptionsformen von Kindern und Jugendlichen zu befassen hatte. Werden sie einfach mit Bildangeboten berieselt, oder nutzen sie bestimmte Dinge ganz bewusst? Zwangsläufig geriet ich da in die Debatten um Gewalt in den Medien und um die zu Fragen der Medienkompetenz. Solche Diskussionen werden oftmals sehr abgehoben und allgemein geführt. Man verkündet je nach Haltung unterschiedliche Glaubensbekenntnisse und damit hat es sich dann. Ich wollte genauer nach Rezeptionsformen von Kindern und Jugendlichen fragen. Da sehe ich übrigens auch den Schnittpunkt zu meiner jetzigen Tätigkeit beim GOLDENEN SPATZEN."

Den Titel "Horrorexpertin" bekamen Sie aber doch im Zusammenhang mit Seminaren, die Sie mit Brandenburger Lehrern zu diesem Thema durchführten?
"Ja, da sieht man, wie weltfremd die Debatten manchmal sind. Mein Angebot, vor Lehrern über den Horrorfilm zu sprechen, wurde als so ungewöhnlich empfunden, dass man ein mediales Ereignis daraus machte. Dabei hatte ich nur festgestellt, dass die Schere zwischen dem, was Kinder und Jugendliche wirklich sehen und dem, was Lehrer und auch Eltern darüber reden, mittlerweile immer weiter auseinander geht. Kommunikation scheint hier kaum noch möglich. Ich wollte die Lehrer informieren, sie dazu auffordern, sich auf etwas einzulassen und so Kompetenz vermitteln. Ich meine, dadurch, dass die Kinder mit dem Medium aufwachsen, sind sie durchaus in der Lage, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden. Sie müssen nicht vor etwas bewahrt werden, sie müssen für ihre Fragen informierte Gesprächspartner finden."

In Ihrer jetzigen Tätigkeit in Gera haben Sie es speziell mit bewusst für Kinder gemachtem Fernsehen und Kino zu tun. Welche Tendenzen haben Sie für sich hier beobachtet?
"Im Fernsehen beobachte ich eine gewisse Monokultur. Da sind einige Klassiker wie die 'Sendung mit der Maus' oder 'Löwenzahn', beides für sehr junge Kinder. Dann gibt es die verschiedenen Clubsendungen, mehr oder weniger gute Animationsware und einige Bemühungen um den Kurzspielfilm. Als Alltagsware finde ich das alles ganz korrekt, es entspricht dem Bedürfnis nach Unterhaltung und leichter Kost. Aber ich denke, man muss die Programmmacher stärker in die Pflicht nehmen. Insbesondere für ältere Kinder werden Alternativen benötigt. Es muss möglich sein, Alltagsprobleme zu thematisieren und diese dann von den verschiedensten Seiten zu beleuchten. Eine Sendung wie 'Moskito' vom SFB aber, die das versucht hat, wird nicht ausgebaut, sie wird aus dem Programm gekippt. Kürzlich wurde der Film 'Svens Geheimnis' vom WDR mit dem 'Erich Kästner Preis' ausgezeichnet. Ich finde, dieser Film ist mit Problemen fast schon überladen, aber es war wenigstens ein Versuch, etwas auf den Punkt zu bringen. Mich irritiert einiges bei der Diskussion um den Kinderkanal. Da wird fast wie ein Schild immer das Postulat vom gewaltfreien, vom angstfreien Programm hochgehalten. Aber das Leben ist nicht angstfrei. Da müsste man doch auch in den Programmen mit den Ängsten umgehen. Wenn man einen Konflikt in einer fiktiven Form aufarbeitet, dann bietet man doch auch Handlungsmodelle, diesen Konflikt zu lösen. Gerade das vermisse ich aber."

Das wäre das Fernsehen, aber wie sehen Sie das Kino für Kinder?
"Da ist zunächst ständig diese Diskussion, wir brauchen Stoffe, wir brauchen Verleihförderung. Ich habe den Eindruck, dass man gern und viel darüber redet, dass aber wirklich wenig Leute tatsächlich dafür etwas tun. Die Festivals in Gera haben immer bewiesen, dass es schließlich noch einige Sachen für Kinder im Kino gibt. Das wird auch wieder so sein. Die Frage ist, ob das, was es da gibt, ausreicht und ob es differenziert genug ist. Da sehe ich ähnliche Probleme wie beim Fernsehen. Ich will wahrlich nicht den Problemfilm der 70er-Jahre unbedingt wieder haben, doch so sehr ich dem phantastischen Film verpflichtet bin, genauso wichtig wäre es, auch in fiktionaler Form mit Alltagsproblemen umzugehen."

Welchen Stellenwert hat für Sie das Geraer Festival innerhalb der Problemkreise, die Sie gerade angesprochen haben?
"Natürlich ist es Bestandsaufnahme, es ist Diskussionsforum und es wird hoffentlich Entwicklungslinien deutlich machen und Perspektiven eröffnen. Ich hatte ja bisher noch nie Gelegenheit, an diesem Festival teilzunehmen. Ich habe mich aber im Zusammenhang mit meiner Bewerbung um die Stelle ziemlich genau über das Gewesene informiert. Da gibt es bei allen Brüchen eine Entwicklungslinie, an die ich anknüpfen möchte. Wenn man auch 1993 aufgehört hatte zu zählen, es ist bereits das 10. Festival, das wir vorbereiten. Da gibt es eine Mischung aus Tradition und Wandel, die finde ich sehr interessant. Das Festival kann davon nur profitieren. Sicher gab es 1993 eine Berechtigung, sich von der Zeit davor abzugrenzen. Damit ist es bei den letzten beiden Veranstaltungen gelungen, das Festival bundesdeutsch zu machen. Es ist nicht verloren gegangen. Nun führen wir die Linien wieder zusammen. Dabei wird es keinen einschneidenden Bruch zu den vergangenen Jahren geben. Wir wollen in Gera alle zusammenbringen, die in Sachen Kinderfilm etwas zu sagen haben. Mir ist aber auch wichtig, dass mehr als in den vergangenen Jahren Raum für die Kinder, also das Publikum, geschaffen wird. Die Kinder müssen mit den Machern reden können. Sie sollen sagen, was sie gern sehen. Darüber hinaus wird das Festival Gelegenheit bieten, sich mit Programmen zu befassen, die nicht explizit für Kinder gemacht sind, aber häufig von ihnen gesehen werden. Was finden die Kinder dort, was sie im eigentlichen Kinderprogramm nicht finden? Sind das Sachen, die vom Kinderprogramm nicht gemacht werden können, oder die das Kinderprogramm nicht gewillt ist zu machen? Wir haben die seltene Chance, Fachleute und Adressaten zusammenzuführen – eine Chance, die es verstärkt zu nutzen gilt."

Das 10. Festival GOLDENER SPATZ wird vom 13. bis zum 19. April 1997 in Gera stattfinden. Können Sie schon sagen, wie es konkret aussehen wird?
"Am 17. Dezember war Deadline für die Einreichung zum Wettbewerb, der in sechs Kategorien ausgetragen wird: Spielfilm lang und kurz, Animationsfilm, Information/Dokumentation, Serie/Reihe und, diesmal gesondert ausgeschrieben, 'Großflächige Kinderprogramme', d. h. Clubsendungen. Bis dato sind bei uns 120 Anmeldungen eingetrudelt, darunter 20 abendfüllende Filme, die für Kino oder Fernsehen produziert wurden. Ich denke, dass wir daraus ein interessantes Programm stricken können. Die Auswahlkommission wird im Januar tagen und ich freue mich, dass meine Vorgängerin Elke Ried den Vorsitz übernimmt und auch bei der weiteren Programmplanung beratend tätig sein wird. Über den Wettbewerb hinaus wird es ein Informationsprogramm, Blicke in die Werkstatt und Vorpremieren geben. Da wir 1997 das 10. Festival erleben, wird die Retrospektive der Festivalvergangenheit gewidmet und bietet eine Reihe von Spielfilmen, die von der Kinderjury prämiert wurden. Anlässlich des Jubiläums wird es auch eine Ausstellung in zwei Geraer Museen geben, die Exponate aus zehn Ausstattungsfilmen, die bei den vergangenen Festivals liefen, präsentiert. Dazu wird zurzeit an einer Broschüre mit vielen Fotos, den Plakatmotiven, Aussagen der bisherigen Festivalleiter und Kinderäußerungen gearbeitet.
Eröffnet wird das Festival am 13. April möglichst mit einer Premiere – und dafür stehen die Chancen momentan nicht schlecht – und dem großen Familien-Film-Fest im Kultur- und Kongresszentrum. Wenn ein Großteil dessen, was die Sender jetzt schon angekündigt haben, bei dem Fest umgesetzt wird, kommt es in der Ostthüringer Region wirklich zu einem großen Ereignis mit vielen beliebten Film – und Fernsehfiguren und -stars. Die Hauptpreise, die GOLDENEN SPATZEN, werden wieder von der Kinderjury, in der Kinder aus allen Bundesländern vertreten sind, vergeben. Erfreulicherweise hat die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten im November beschlossen, dieses Spezifikum des GOLDENEN SPATZEN dauerhaft zu fördern. Der Aufruf, an dieser Jury teilzunehmen, läuft zur Zeit, etwa über den von Nickelodeon produzierten Trailer, der von öffentlich-rechtlichen wie auch privaten Sendern ausgestrahlt wird, und über Informationsmaterialien in Kinderkinos. Die Organisation der Kinderjury wird wie schon im letzten Jahr vom Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. übernommen. Eine weitere Besonderheit des Festivals, der Internationale Kinder-Film & Fernsehmarkt Pro Junior, wird zum dritten Mal stattfinden. Wir hoffen, möglichst viel internationales Fachpublikum dafür zu gewinnen. Für mich ist es wichtig, dass das Festival mit der Preisverleihung nicht zu Ende ist: Es soll ausstrahlen – sei es nun in Diskussionen und Initiativen oder durch das Nachspiel der Preisträger, das in Thüringen und Hessen stattfinden soll.

Mit Margret Albers sprach Klaus-Dieter Felsmann

 

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