Produktion: Lenfilm Studios; Russische Föderation 2005 – Regie: Andrei Kravchuk – Buch: Andrei Romanov – Kamera: Alexander Burov – Schnitt: Tamara Lipartiya – Musik: Alexander Kneiffel – Darsteller: Kolya Spiridonov (Vanya Solntsev), Denis Moiseenko (Koliyan), Olga Shuvalova (Irka), Maria Kuznetsova (Geschäftsfrau), Nikolai Reutov (Grisha), Yuri Itskov (Heimleiter) u. a. – Länge: 90 Minuten – Farbe — Weltvertrieb: Lenfilm Studios, e-mail: prdept@lenfilm.ru – Altersempfehlung: ab 12 J.
Kinderfilme aus der Russischen Föderation sind selten geworden bei der Berlinale. Nun aber konnte das Kinderfilmfest wieder einmal mit einer Produktion von dort, und noch dazu einer sehr beeindruckenden, aufwarten. Nach einer wahren Begebenheit erzählt Dokumentar- und TV-Film-Regisseur Andrei Kravchuk die Geschichte eines sechsjährigen Jungen. Vanya wächst in einem verwahrlosten Waisenhaus auf. Der Heimleiter trinkt, die Kinder und Jugendlichen sind sich selbst überlassen. Die Älteren haben das Regime übernommen, ihr Leben organisieren sie mit Hilfe krimineller Delikte, junge Mädchen wie Irka gehen "anschaffen" und träumen von einer besseren Zukunft. Vanya aber hat das große Los gezogen: Er soll von einem italienischen Ehepaar adoptiert werden. Nach Italien gehen, dorthin, wo in jedem Vorgarten Orangen wachsen und die Menschen in Reichtum leben! Ein Umstand, um den ihn viele Kinder beneiden. Vanya wird bereits nur noch "der Italiener" gerufen und müsste eigentlich überglücklich sein. Doch dem Jungen kommen Zweifel: Was ist, wenn seine Mutter noch lebt und später nach ihm sucht? So wie die Mutter von seinem Freund Mukhin? Diese kommt nämlich nicht darüber hinweg, dass ihr Sohn ohne ihr Wissen nach Italien verkauft wurde. Verkauft im wahrsten Sinne des Wortes, denn an der Vermittlung von Adoptivkindern verdienen einige: zuallererst die Geschäftsfrau, die die Unterlagen besorgt, die Behörden, die von ihr bestochen werden, der Heimleiter und selbst der jugendliche Anführer im Heim, Koliyan.
Als sich Mukhins Mutter das Leben nimmt, steht für Vanya fest: Er muss herausbekommen, wer seine Eltern sind und ob sie noch leben. Er muss an seine Personalakte herankommen, vor allem aber muss er lesen lernen, um sie verstehen zu können. Und so vollbringt der kleine, zarte Junge schier Unmögliches. Er entwickelt eine wahnsinnige Energie, um seine Eltern zu finden, und steckt andere damit an. Er bringt Menschen zum Umdenken, die am Leben schon verzweifelt sind. Zuerst Irka, die ihm heimlich und unentgeltlich das Lesen beibringt. Dann Koliyan, der auf seinen Gewinn verzichtet und Vanyas Flucht aus dem Heim duldet. Später nach einer sehr gefährlichen Verfolgungsjagd auch Grisha, den Fahrer der Geschäftsfrau, der ob der Beharrlichkeit des kleinen Jungen kapituliert und sein eigenes Tun in Frage stellt. Aber Vanya trifft auch auf Menschen, die ihre Ideale noch bewahrt haben und ihm deshalb ganz selbstverständlich helfen. Zum Beispiel der Hausmeister der Klinik, in der der Junge zur Welt gekommen ist: Er, ein aus der Armee entlassener Offizier und nun in völliger Armut sein Dasein fristend, schützt den Kleinen vor seinen Verfolgern und verrät ihm die Adresse seiner Mutter.
Die Schluss-Szene dann ist wohl die berührendste in diesem Film: Vanya steht vor dem verfallenen Holzhaus seiner Mutter, die Tür öffnet sich, die Kamera ruht auf dem von den Strapazen gezeichneten und zugleich so strahlenden Gesicht des Jungen, während er sich vorstellt ...
"Der Italiener" ist ein wirklich starker, mitreißender Film, genau erzählt, schonungslos, aber ohne in Schwarzweiß-Malerei oder Klischees zu verfallen, und trotz allem so hoffnungsvoll. Dieser kleine, verletzliche Junge strahlt eine Kraft aus und macht Mut, trotz aller Schwierigkeiten seinen Anspruch ans Leben durchzusetzen und sich widrigen Umständen nicht zu beugen. Regisseur Andrei Kravchuk, der mit diesem Film sein Kinodebüt vorlegt, wandte sich auch in seinen früheren dokumentarischen Arbeiten Persönlichkeiten zu, "die alles dafür tun, ihre Menschenwürde zu bewahren, egal in welch schwierige Situationen sie kommen. Die keine Kompromisse schließen und sich treu bleiben." Nun stellt er zum ersten Mal ein Kind in den Mittelpunkt. Dabei hat er sich mit Kolya Spiridonov einen Jungen ausgesucht, der weder niedlich, noch "süß" ist, sondern durch seine stille, ernste Art berührt. Ihm traut man auf den ersten Blick solch eine Beharrlichkeit, solch einen Mut überhaupt nicht zu und ist umso mehr beeindruckt von seiner Stärke. Für ihn hat der Komponist Alexander Kneiffel eine ganz besondere Musik gefunden: Wie wenn man mit einem Metallstück an Eiszapfen schlägt, so ziehen sich die Töne durch den Film. Sie verstärken die Zerbrechlichkeit des kleinen Jungen und zwingen andererseits dazu, aufzumerken und in seiner Seele etwas Verborgenes, Unvermutetes zu entdecken. Es ist eine Entdeckung, die einem für lange Zeit Kraft schenkt.
Für "einen brillanten, einen wirklich guten Film" hielt die Internationale Jury den Beitrag aus Russland und zeichnete ihn mit dem Großen Preis des Deutschen Kinderhilfswerkes aus und von der Kinderjury wurde er mit einer lobenden Erwähnung bedacht. Für mich war "Der Italiener" der gelungenste Film im Kinderprogramm der Berlinale.
Barbara Felsmann
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 103-2/2005 - Interview - "Unser Film soll Hoffnung vermitteln"
KJK 102-2/2005 - Interview - "Jeder muss sich für sein Leben verantwortlich fühlen und dafür etwas tun"
Keine Mauerspechte, aber Brückenbauer ONE WAY, A TUAREG JOURNEY Zur 100. Ausgabe 3 DAYS OF CINEMA 7 ODER WARUM ICH AUF DER WELT BIN Achvlediani, Nino - "Ich möchte, dass die Kinder noch von einer besseren Welt träumen können" Agthe, Arend - „Beim Kinderfilm ist jeder Konflikt, der erzählt wird, existenziell“ Albers, Margret - "Man muss Kinderfilme mehr als Filme sehen ..." Albers, Margret - "Wir haben die seltene Chance, Fachleute und Adressaten zusammenzuführen" ALS GROSSVATER RITA HAYWORTH LIEBTE AM HIMMEL DER TAG DAS ANDERE UFER AUF LEISEN PFOTEN DAS AUGE DES ADLERS Báez, Irina Gallardo - "Hannelore wollte, dass ich die Isabel spiele, und nicht, dass ich die Isabel bin." BEAUTY AND THE BASTARD BIN ICH SEXY? BIS AUFS BLUT – BRÜDER AUF BEWÄHRUNG BLÖDE MÜTZE! BONHOEFFER – DIE LETZTE STUFE BRAN NUE DAE Burckner, Clara - "Für einen Kinderfilm muss außergewöhnlich intensive Verleiharbeit geleistet werden" Busker, Martin - "Warum dürfen Kinder im Kino nicht weinen?" CAPTURING DAD COMRADES IN DREAMS – LEINWANDFIEBER DANNYS MUTPROBE EINSCHNITTE DIE FARBE DER MILCH DER FLUG DES ALBATROS FREMDE HAUT FREMDER FREUND FROHE ZUKUNFT DIE PROPHEZEIUNG DER FRÖSCHE / DAS GEHEIMNIS DER FRÖSCHE DIE GESCHICHTE VON RICHARD, MYLORD UND EINEM WUNDERBAREN FEUERVOGEL GILLES Grünberg, Cornelia - "Man kann nicht erwarten, dass die Fördergelder möglichst schnell zurückfließen" Grünberg, Cornelia und Heiko Merten - Rückwärts ist kein Weg – Schwanger mit 14 Haase, Jürgen - "Der Kinderfilm hat ein weltweites Publikum, und von daher gibt es auch einen weltweiten Bedarf" Hailer, Thomas - "Das Land Eden für den Kinderfilm gibt es nicht" HALBE PORTIONEN Helmer, Veit - Ein Geschenk für den Sohn HILFE, ICH BIN EIN JUNGE! DER HIMMEL FÄLLT I KNOW YOU KNOW IM GULLY INKLUSION – GEMEINSAM ANDERS DAS INTERNAT IRGENDWO IN BERLIN IRIS ISKAS REISE DER ITALIENER KAUWBOY Keil, Klaus - "Wir geben mehr als Geld" Kendall, Nicholas - "In die Historie bin ich gegangen, weil ich vor solchem Hintergrund die Charaktere besser herausarbeiten konnte" KINDERFILM IN EUROPA DER KLEINE VOGELNARR König, Inge - Kinderfilm GbmH – eine neue Produktionsfirma in Erfurt Kozik, Christa - "Kinder brauchen leise humanistische und poetische Botschaften" Kravchuk, Andrei - "Jeder muss sich für sein Leben verantwortlich fühlen und dafür etwas tun" DIE LETZTE IHRER FAMILIE LIEBE, LÜGEN UND GEHEIMNISSE LÖCHERKÄSE AUS BETON LOLLIPOP MONSTER LOST HEAVEN LOVITOR Lowenthal, Mark - "Ich habe einfach nach einem wahrhaftigen Ende gesucht" MADE IN GDR MADELIEF – DAS ZEICHEN AUF DEM TISCH DAS MÄDCHEN DAS MÄDCHEN IN DEN TURNSCHUHEN MAGNIFICO Malberti, Juan Carlos Cremata - "Ich kann keine Lösung eines Problems anbieten, das nicht zu lösen ist" MANOLITO, DIE BRILLENSCHLANGE MASOUMEH UND DER SCHNURRBART MAX PEINLICH MIA UND DER MINOTAURUS DER MISTKERL Müntefering, Gert K. - "Wir haben so etwas wie eine neue Sachlichkeit für Kinder eingeführt" MUKHSIN UND ICH Olofson, Christina - "Es geht um Probleme in einer Mädchengruppe, aber es wird insgesamt ein Lebensgefühl vermittelt, das Jungen genauso interessiert" Oplev. Niels Arden - "Es ist der persönlichste Film, den ich bisher geschrieben und gedreht habe" DAS PFERD AUF DEM BALKON PINGPONG PLATZANGST POLLEKE POPULÄRMUSIK AUS VITTULA DIE PUSTEBLUMEN QUATSCH UND DIE NASENBÄRBANDE Redpath, Maryanne und Florian Weghorn - Alles auf Augenhöhe RENN, WENN DU KANNST RICO, OSKAR UND DIE TIEFERSCHATTEN Rosenbaum, Uwe - "Es geht darum, Mittel und Ideen zu konzentrieren" Rosenbaum, Uwe - Mit wenigen Mitteln viel erreicht DER ROTE ELVIS DER ROTE KAKADU RÜCKBLICK - EINBLICK - AUSBLICK Sahling, Bernd - "Sie hat die Gabe, Brücken zu schlagen ..." SATELLITE BOY Schindler, Christina - "Das übergeordnete Thema in meinen Filmen ist immer das Verhältnis von Fiktion und Realität" Schleinstein, Frank - "Eigentlich bist du verrückt, einen Film zu drehen, der völlig gegen den Strich geht" Schmidt, Manfred - "Wenn es ein gesellschaftlicher Wunsch ist, dass Kinder sich mit Filmen auseinander setzen, dann müssen wir dafür auch etwas tun" SCHULD SIND IMMER DIE ANDEREN DIE SEEKÖNIGIN SKELLIG Svarcova, Iva - "Mich interessieren einfache Menschen, die sehr viel bewegen können" THE BLACK BALLOON THE MIGHTY CELT THE WORD EIN TICK ANDERS DER TRAUM TROMMELBAUCH Ungureit, Dagmar - "Mit offenem Blick den Märchen neu annähern" DER VERZAUBERTE EINBRECHER VIVA CUBA VOM ABSCHIEDNEHMEN UND TRAURIGSEIN WAS AM ENDE ZÄHLT WER, WENN NICHT WIR WIE DURCH DUNKLES GLAS Wiedemann, Dieter - Studiengang für Kinderfilm und Kinderfernsehen an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg geplant Wild, Anne - Den Kindern ihr Märchen geben WO DER ELEFANT SITZT WORLDS APART Zylla. Renate - 19 Jahre KinderFilmFest Berlin